Es wird heiß im Westen ...

 

Der Outlaw Ron Wanagan, auch genannt Bowie-Ron, geht keinem Konflikt aus dem Weg. Nach dem Bankraub mit der Tolson-Bande reiten die Banditen mit ihrer Geisel Mabel Seaford in die White Sands. Am nächsten Morgen jedoch erwacht Ron mit Mabel allein in der Wüste, ohne Pferde und ohne Wasser, denn die Banditen haben nicht vor, mit ihm die Beute zu teilen.

Doch schon bald merken sie, dass sie Bowie-Ron, der eine Klapperschlange mit einem Messerwurf aufspießen kann, zu sehr unterschätzt haben: denn dieser hat vorgesorgt und das Gold vom Bankraub versteckt.

Dieses nützt ihm und Mabel allerdings in der Hitze und den Gefahren der White Sands wenig. Nun kommt es einzig darauf an, ob ihnen die Wüste gut oder schlecht gesinnt ist - denn sie müssen die Berge erreichen, bevor sie verdursten oder der Tolson-Bande wieder in die Hände fallen ...

 

 

 

Blick ins Buch:

 

Eine Chance für

Wanagan

Ursula Gerber

 

Impressum

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Eine Chance für Wanagan

 

Es war stockdunkle Nacht.

 

Im Schatten des bleichenden Mondes bewegten sich drei dunkle Gestalten durch die unwegsame Wüstenlandschaft. Sie schwitzten trotz der Kälte der Nacht.

 

Auch die Pferde dampften. Staub wallte hinter ihnen hoch, aufgewirbelt von den Stiefeln und Hufen, und blieb in der Windstille wie eine transparente Mauer sekundenlang stehen. Das Sattelleder knarrte, das Zaumzeug und die eisernen Chichuahua-Rädersporen klirrten. Die Hacken der ledernen Stiefel bohrten sich tief in den weißen Sand. Sie hinterließen Spuren mit eingefallenen Rändern.

 

Die Männer redeten leise miteinander. Ihre Stimmen waren so gedämpft, dass die Worte nur gerade sie selbst verstehen konnten. Ab und zu schnaubte eines der Pferde.  

 

Über ihren Köpfen verschwand der Mond gerade zur Hälfte hinter einem dunklen Wolkensegler und guckte vorwitzig hervor wie ein kleiner, neugieriger Junge beim Versteckspielen. Am Firmament blinkten vereinzelte Sterne wie Diamantensplitter.

 

Die drei Männer durchquerten einen schmalen Canyon, der sich tief in die Erdoberfläche gegraben hatte, und nun für sie ein sicheres Versteck bedeutete. Rechts und links von ihnen ragten bizarre Felswände an die fünfzig Yards in die Höhe und boten einen gespenstischen Anblick.

 

Ein schwacher Wind kam auf, der an der Kleidung der drei Weißen zupfte. In der Ferne heulte ein einzelner Kojote den Mond an, und ganz in der Nähe antwortete ihm ein zweiter.

 

 

 

Endlich schlugen die drei inmitten des Canyons ihr Nachtlager auf. Sie sattelten die Pferde ab, denen sie dann die Vorderbeine zusammenbanden, damit sie nicht weglaufen konnten. Wenig später saßen sie um ein prasselndes Feuer, wärmten sich etwas Kaffee und aßen den letzten Rest ihrer Nahrungsmittel bis auf ein Stück Brot und ein paar Streifen Trockenfleisch auf. Wieder redeten sie nur gedämpft miteinander, so als hätten sie etwas zu verbergen. 

 

Samuel Higgins stierte seinen Boss mit gerunzelter Stirn fragend an. „Und du meinst, dass es klappen wird?“, vergewisserte er sich halblaut. In seinen kalten, grauen Augen, die wie nasse Kieselsteine glitzerten, lag ein letzter Rest Misstrauen und Verunsicherung.

 

„Sicher klappt es! Ich wüsste nicht, was noch dazwischenkommen sollte!“ Ihr Anführer warf sich in die Brust, wodurch er trotz seiner sitzenden Position seine Kameraden um Zentimeter überragte. Frank Tolson sah seine beiden Kumpane vor sich überheblich an.

 

„Mein Plan ist einwandfrei! Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn wir irgendein Detail übersehen hätten! Seid ihr nicht auch meiner Meinung?“, prahlte er.

 

William Hastings nickte grinsend und fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund und den blonden Schnurrbart. „Aber sicher, Boss. Das braucht schon verdammt viel, damit einer in deinen genialen Gedankengängen einen Fehler finden kann.“

 

„Okay, Jungs. Dann gehen wir noch einmal sämtliche Details durch. Jeder muss genau ihre Reihenfolge kennen und wissen, wie er in einer Notfallsituation handeln muss. Nicht, dass uns doch noch ein Fehler passiert! Wenn wir morgen unseren Coup durchziehen, darf nichts in die Hose gehen!“

 

Die beiden anderen Banditen sahen sich mit vielsagenden Gesichtern grinsend an, aber Frank achtete nicht auf sie. Gemächlich rollte er sich eine Zigarette.

 

„Also dann, legen wir los. Zuerst gehen wir als Goldgräber verkleidet in die Stadt und dann …“

 

***

 

Ein einsamer Reiter lenkte sein Pferd durch die kahle Wüste. Er saß zusammengekrümmt im Sattel. Der Kopf war ihm auf die Brust gesunken und pendelte im Takt der Hufe von einer Seite auf die andere. Der Mann schlief. Die Kälte der Nacht spürte er nicht, obwohl er nur sein rotes Baumwollhemd und eine Kalbslederweste trug, mit deren Fransen der Wind spielte.

 

Der Fremde und sein Pferd erreichten denselben Can-yon, in dem die drei Halunken ihr Nachtlager aufgeschlagen hatten und eben dabei waren, ihren Plan nochmals durchzugehen. Der tiefe Sand dämpfte die Hufschläge so weit, dass die drei erst auf den Reiter aufmerksam wurden, als dieser schon bis auf unter hundert Fuß herangekommen war.

 

 

 

Er gab sich noch immer den Anschein, als schliefe er. Doch sein Pferd hatte sie schon von weitem gewittert und ihn durch ein starkes Wippen seines kantigen Schädels geweckt. Da hatte er gleich gewusst, dass er nicht mehr allein war. So weit draußen in der Wüste konnte es sich nur um Gesindel handeln.

 

Er hätte einen Bogen um sie machen können, aber er wollte sie nicht in seinem Rücken haben. Und er scheute niemals eine Konfrontation.

 

 

 

Sam Higgins sprang als erster hinter dem schwach brennenden Feuer auf und rief seinen Kumpanen warnend zu: „Achtung, Jungs! Wir kriegen Besuch!“

 

Frank Tolson und William Hastings sprangen nun ebenfalls in die Höhe und traten gemeinsam vor das Feuer.

 

 

 

Sie versuchen wohl wie ein Bollwerk zu wirken und Gefahr zu signalisieren, ging es dem Reiter durch den Sinn. Er musste sich ein Grinsen verkneifen und biss die Zähne zusammen, dass seine Kiefermuskeln sich verhärteten. Nur dadurch konnte er seine Mimik im Zaum halten.

 

Der junge Fremde ritt näher. Noch immer schien er zu schlafen, doch er war hellwach und reaktionsbereit. Nur ganz kurz flatterten seine Augenlider und öffneten sich einen Spalt breit, so dass er die Situation erfassen konnte, dann schloss er sie sofort wieder. Sein Kopf pendelte weiterhin von einer Seite auf die andere. Auch nichts an seiner Hand verriet, dass er wach und voll konzentriert war und sein Gehör anstrengte. Jede Faser seines muskulösen Körpers war bis aufs Äußerste angespannt, und er war bereit, sich seiner Haut zu wehren und sein Leben so teuer wie möglich zu verkaufen, sollte es nötig werden.

 

 

 

Frank Tolson hatte die Daumen hinter seinen Patronengürtel gehakt. Er sah in dem jungen Reiter keine Gefahr. Mit staksigen Schritten trat er schlendernd auf ihn zu. Er fiel dem schwarzen Hengst in die Zügel.

 

Seine kalte Stimme schnarrte: „Was willst du hier, Fremder?“

 

Der Rappe schnaubte unwillig und warf den Kopf in die Höhe, aber Tolson hielt fest.

 

Der Reiter erschrak sichtlich, als er so rüde aus seinem Schlaf gerissen wurde. Er ruckte an den Zügeln, als er scheinbar erwachte, dass der Gaul einen Satz vorwärts machte und Tolson zur Seite springen musste.

 

Sein Arm war hochgerissen worden, aber er ließ die Zügel nicht fahren. Er fluchte wild und befahl dem erschrockenen Reiter scharf: „Zum Teufel! Mach dein Maul auf, Amigo! Wer bist du und was willst du hier?“

 

„Wanagan. Ronald Wanagan. Meine Freunde nennen mich Ron, wenn Ihnen das lieber ist. - Was Ihre Frage angeht, Mister, so glaube ich, ist es nicht verboten, des nachts durch die White Sands zu reiten“, erwiderte er mit betonter Gelassenheit übertrieben höflich, aber mit einer Stimme, aus der seine Ironie herauszuhören war.

 

„Wieso reitest du auf unserer Fährte, Wanagan?“ Tolson nahm nichts von seiner Schärfe zurück.

 

Der junge Mann schüttelte den Kopf. „Das war nicht ich, das war mein Pferd. Scheint fast so, als hätte es sich einsam gefühlt.“

 

„Du bist ein richtiger Spaßvogel, was?“

 

„Nein, Sir, nicht wirklich.“

 

„Und du hast wirklich geschlafen?“

 

Dieser Kerl ist verdammt misstrauisch, ging es dem Reiter durch den Sinn, derweil er sich mit dem Handrücken über die Augen fuhr und ungeniert gähnte. „Worauf Sie einen lassen können, ja. Sieht fast so aus, als hättet ihr Halunken etwas zu verbergen, dass Sie mir nicht glauben.“

 

Da wurden Tolsons Augen zu schmalen Schlitzen. Sei-ne Miene verfinsterte sich. Er sah sich durchschaut und seinen Plan gefährdet. Er mochte es nicht, in die Enge getrieben zu werden! Aber er erfasste schnell einen Ausweg, der auch ihr Unternehmen erleichtern würde. Wanagan musste sich nur bereiterklären, bei ihrem Coup mitzumachen. Später würde es dann ein Leichtes sein, ihn auszuschalten und zu beseitigen.

 

Es war ihr letzter großer Coup, nach dem sie sich zur Ruhe setzen wollten. Da konnten sie keine überflüssigen Zeugen brauchen! Und mit noch mehr Leuten teilen wollte er natürlich auch nicht!

 

„Ja, vielleicht“, sagte Tolson nach kurzer Überlegung gedehnt. Dabei sah er Ron scharf an.

 

Dieser wich dem kalten, grauen Blick nicht aus und zuckte mit keiner Wimper.

 

Frank erkannte zu seiner Verblüffung, dass sich dieser junge Mann weder vor ihm, noch vor den anderen fürchtete, obwohl sie in der Mehrzahl waren. Stattdessen vertraute er wohl auf sich selbst.

 

Tolson grinste auf den Stockzähnen. Da wird sich das Jungchen gehörig überschätzen!, dachte er.

 

Ein leichtes Lächeln umspielte Wanagans volle Lippen. Er fragte harmlos, aber mit lauerndem Blick: „Also ein Schuss ins Schwarze, was?“

 

Tolson nickte grinsend.

 

„Aber, Boss …!“, jaulte Higgins befremdet dazwischen.

 

Ein böses Leuchten lag in Tolsons eisigen Augen. „Ja. Dein Pech, denn jetzt steckst du mitten drin.“

 

Ron lächelte noch immer sein undurchsichtiges Lächeln, das einen auf die Palme bringen konnte. Seine harten, männlichen Züge waren eine einzige Provokation, ebenso seine harmlos klingende, gleichbleibende Stimme, als er fragte: „Und was, wenn ich nicht mitspielen will, Mister?“

 

„Du kannst es dir aussuchen, Freundchen, wir oder eine Kugel! Also überleg es dir gut! Das Leben ist kurz. Aber man ist verdammt lange tot.“

 

Ronald Wanagan nickte bedächtig und erwiderte zynisch: „Du hast so eine Art an dir, um Leute zu überzeugen. Aber zuerst muss ich natürlich wissen, um was es überhaupt geht. Also, lass mich absteigen, Freund, sonst kom-me ich mir dir gegenüber so überheblich vor.“

 

Er hielt sich am Sattelhorn fest, schwang sein Bein über die Kruppe des Pferdes und ließ sich zu Boden gleiten, ohne Tolsons Antwort überhaupt erst abzuwarten.

 

Dieser zog fast unmerklich seine Braue in die Höhe. Wanagans Bewegungen waren geschmeidig und ohne Hast. Er war ein besonnener Mann.

 

Ron nahm ihm die Zügel aus den Händen und marschierte an ihm vorbei zum Feuer.

 

William Hastings und Sam Higgins ließen ihn an sich vorbei. Sie warteten darauf, dass ihr Boss den grünen Jungen zurechtstutzte. Ihre Blicke waren auf Tolson geheftet, ohne dessen Veto sie keinen Finger krumm machten.

 

Aber der rührte sich nicht. Statt irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen, setzte er sich schweigend zurück ans Feuer.

 

Wanagan brachte seinen Rappen zu den anderen vier Pferden hinüber und band ihm ebenfalls die Vorderbeine zusammen. Er sattelte ab und schnallte ihm die Gebisskette ab, damit er den Hafer fressen konnte, den er ihm in einem Beutel ums Maul hängte. Danach kam er zu ihnen ans Feu-er, wo er sich zwischen Frank Tolson und William Hastings setzte.

 

 

 

„Unser neues Mitglied“, stellte Frank ihn wie eine Selbstverständlichkeit vor.

 

Unaufgefordert schenkte Ron sich eine Tasse Kaffee ein und trank mit vorsichtigen Schlucken. Nun setzte er kurz ab und warf ein: „Nicht so vorschnell, Frank. Erst will ich wissen, in was ich mich da einlasse. Also erzählt mal. Ich höre.“

 

„Wer will es ihm erzählen? Sam? Will?“ Tolson sah herausfordernd von einem zum anderen.

 

Die beiden schüttelten fast unisono die Köpfe. Keiner wollte schuld sein, wenn später etwas schief lief. Wäre es nach ihnen gegangen, hätten sie das Bürschlein gleich mit einer Kugel zum Schweigen gebracht. Oder noch besser mit dem Messer. Sie begriffen ihren Boss nicht. Aber sie schwiegen. Sie wussten, dass er es ihnen erklären würde, sobald sie unter sich waren.

 

„Warum sagst du es ihm nicht selbst, Frank?“, entgegnete Sam Higgins, und William Hastings pflichtete ihm mit einem energischen Nicken bei.

 

„Na gut!“, knurrte Frank Tolson. Er warf einen frischen Ast auf das knisternde Feuer, dann räusperte er sich und begann.

 

 

 

Der junge Ronald Wanagan hörte schweigend zu. Als Tolson geendet hatte und sich frischen Kaffee nachschenkte, nickte er. „Die Idee ist wirklich nicht schlecht, by Jove. Und im Augenblick bin ich knapp bei Kasse. Ihr habt also Glück, ihr habt ein neues Mitglied, Jungs. Ich bin mit von der Partie. In dieser speziellen Angelegenheit habe ich zwar noch keinerlei Erfahrung, aber ich denke, dass ich es schon richtig machen werde.“

 

Wanagan grinste und entblößte dabei zwei Reihen weißer, gesunder Zähne, die im Schein des Feuers matt glänzten und mit seinem gebräunten Gesicht kontrastierten. Dabei verrieten weder seine Miene, noch seine blauen Augen, was in seinem Kopf vor sich ging.

 

Es wäre ein Kinderspiel für einen einzelnen Mann, aber die Kerle trauen sich wohl nicht, dachte er voller Ironie. Er sah die drei Männer an, die ihm jedes Wort glaubten, das er sagte.

 

Sie erwiderten sein Grinsen nicht. Im Gegenteil. Es schien ihm, als wären zumindest Sam und Will ziemlich sauer.

 

Kein Wunder, überlegte Ron, immerhin werden sie das geraubte Geld nun durch vier statt nur durch drei teilen müssen.

 

Sekundenlang ließ er seine Blicke auf jedem einzelnen der drei Gesichter verharren. Schließlich zuckte er mit den Schultern, als keiner von den Männern sich rührte. Er trank seinen Becher aus und füllte ihn aus dem Topf über dem Feuer mit frischem, heißem Kaffee.

 

Frank Tolson reichte ihm aus seiner Satteltasche das übrig gebliebene Stück Brot und etwas Trockenfleisch.

 

Ron nickte ihm zu. „Danke, Freund“, und begann es zu verzehren.

 

„Legt euch schlafen, Jungs. Wenn unser Coup über die Bühne gelaufen ist, werden wir die ganze Nacht durchreiten. Ich schätze, es wird uns kaum jemand in die Wüste folgen.“

 

Sam Higgins und William Hastings nickten schweigend. Sie erhoben sich und schlenderten zu ihren Sätteln hinüber. Sie flüsterten zusammen, drehten sich noch einmal kurz um und warfen Wanagan einen hasserfüllten Blick zu.

 

Dieser war zu sehr mit seinem Essen beschäftigt, als dass er von den beiden noch eine Notiz genommen hätte. Diese Unheil verkündenden Blicke hätten ihm vielleicht zu denken gegeben. So war er nach wie vor die Ruhe selbst.

 

Während sich die beiden Männer niederlegten, stand auch Frank Tolson auf und griff nach seiner Satteltasche.

 

Ron blickte auf und grinste. „Danke, Mann“, bemerkte er noch einmal.

 

Tolson warf sich die Satteltasche über die Schulter und folgte schweigend zu seinen Kumpanen.

 

Wanagan drehte sich nicht nach ihnen um, obwohl er ihre Blicke im Rücken spürte. Auch so war ihm klar, dass ihm keiner der drei Männer gut gesinnt war. Doch dieser Gedanke beunruhigte ihn keineswegs. Vor dem bevorstehenden Überfall würden sie ihm nichts antun, weil sie ihn brauchten. Danach würde er sich zu helfen wissen, wenn sie wirklich in die Wüste fliehen wollten. Er kannte die White Sands wie seine Westentasche.

 

Die Banditen hielten ihn für einen grünen Jungen, der noch keine Erfahrung in solchen Dingen besaß. Doch sie irrten sich. Dabei war er nur ein guter Schauspieler. Sie durchschauten seine Strategie nicht, und das wollte er ja auch erreichen. Im Ernstfall sollten sie überrascht sein, wie sehr sie ihn verkannt hatten. Die Gefahr verringerte sich dadurch erheblich für ihn.

 

Schon mehrmals hatte er die Erfahrung gemacht, dass seine Strategie sehr wirkungsvoll sein konnte, wenn der Gegner ihn dadurch völlig falsch eingeschätzt hatte. Einem Greenhorn traute man perfekte Taktiken nicht zu. Aber Wanagan war alles andere als ein Greenhorn.

 

 

 

Nachdem er fertig gegessen hatte, schüttete er den Rest Kaffee ins Feuer, das bereits am Niederbrennen war.

 

Es zischte und fauchte, bis der letzte Tropfen Flüssigkeit verdampft war.

 

Ron stand nun ebenfalls auf und ging zu seinem Schwarzen hinüber.

 

Dieser begrüßte ihn mit einem freudigen, leisen Wiehern.

 

„Hallo, alter Junge“, grinste Wanagan. Er tätschelte kurz den weichen Hals, ehe er dem Hengst den Hafersack abnahm.

 

Vereinzelte Haferflocken klebten an der samtweichen, feuchten Pferdeschnauze, die der junge Mann beinahe zärtlich entfernte und zu Boden fallen ließ.

 

Etwas später ging er zu seinem Sattel, schnallte die Decke los und breitete sie über sich aus. Er schob den Stetson ins Gesicht und war bereits nach wenigen Atemzügen fest eingeschlafen.

 

***

 

Im Osten hinter den Bergkämmen wurde es allmählich hell. Die Sonne schob sich über die niedrigen Zinnen und Kreten und warf ihre ersten, warmen Strahlen über die White Sands.

 

Ronald Wanagan war bereits auf den Beinen. Er war ein Frühaufsteher und brauchte nur wenig Schlaf, um am Morgen erfrischt und ausgeruht zu sein.

 

Ein kühler Wind fegte über die Wüste, der sein rotes Baumwollhemd aufblähte und mit den Fransen seiner Kalbslederweste spielte.

 

Ron bückte sich nach seinem verstaubten, schwarzen Stetson. Mit den Fingern fuhr er sich kämmend durch sein bläulich schimmerndes, schwarzes Haar. Danach drückte er sich den Hut tief in die Stirn.

 

Er hatte bereits seine Decke zusammengerollt und wieder hinter dem Sattel festgeschnallt, noch bevor die Banditen überhaupt erwacht waren. Eigentlich wäre es für ihn ein Leichtes gewesen, jetzt zu verschwinden, aber die Neugier hatte ihn gepackt.

 

Vorsichtig die Stiefel aufsetzend, damit die drei Schläfer nicht seinetwegen erwachten, ging er zum Lagerfeuer hinüber. Er nahm einen kurzen Ast zur Hand und stocherte damit in der kalten Asche herum, aber er fand keine Glut mehr. Schulterzuckend kniete er sich nieder, kratzte die Asche aus der Mitte der mit Steinen umgebenen Feuerstelle und schichtete frisches Holz über dürres Gras. Aus seiner Hemdtasche brachte er eine Schachtel Streichhölzer zum Vorschein und riss eines der dünnen Hölzchen an einem Stein an.

 

Es knisterte und zischte und schließlich wuchs aus dem Stäbchen eine rote Feuerzunge. Schnell schirmte er sie mit der hohlen Hand gegen den trockenen Wüstenwind ab und hielt die Flamme an das dürre Gras. Sofort sprang sie über und fraß sich wie ein gieriges Tier durch die dünnen Hal-me. Das Gras brannte wie Zunder und setzte schließlich auch das Holz in Brand.

 

Ron erhob sich, schüttelte sich Sand und Staub aus der Hose. Er war mit seiner Arbeit zufrieden.

 

 

 

Endlich regten sich auch die Siebenschläfer neben ihren Pferden. Etwas umständlich erhoben sie sich. Danach schlenderten sie zu ihm herüber, während sie sich die Revolvergürtel um die schmalen Hüften schnallten.

 

An der Art, wie sie ihre Halfter trugen, erkannte er mit einem Blick, dass er erstklassige Revolverschützen vor sich hatte.

 

Ich werde vorsichtig sein müssen, dachte der junge Mann. Er musterte die drei Typen bei Tageslicht etwas genauer, als dies in der letzten Nacht möglich gewesen war.

 

Tolson trug grüne Cordhosen, ein kleingemustertes Hemd und eine leuchtendgelbe Bandana. Seine grauen, kalten Augen waren farblos und wässerig. Genauso emo-tionslos blickte er ihn an. Die blutleeren Lippen waren schmal und die Nase gebogen wie der Schnabel eines Adlers. Das dunkelblonde, gewellte Haar hing ihm in struppigen Strähnen in die gefurchte Stirn. Ron schätzte ihn Anfang vierzig.

 

Sam Higgins‘ ebenfalls kalte, graue Augen waren stechend. Er war gut einen Kopf kleiner als Wanagan, mit braunem, struppigem, geradem Haar. Auch ihm hätte ein wenig Wasser nicht geschadet. Überhaupt sah der ganze Mann schmutzig und wenig zivilisiert aus. Er trug ein weinrotes Hemd, eine schwarze Bandana und schmutzigbraune Leinenhosen. Ron fiel es schwer, das Alter dieses Schakals zu erkennen. Er gab ihm ungefähr sein eigenes Alter, vielleicht auch ein paar Jahre mehr, doch über dreißig war er sicher noch nicht.

 

William Hastings empfand er als die angenehmste Erscheinung. Er war groß, fast zwei Zentimeter grösser als Ron und schlank. Jedoch waren seine Schultern im Gegensatz zu seinen eigenen schmaler und der Brustkorb nicht so kräftig gebaut. Alles an ihm wirkte noch sehr jungenhaft, aber die feinen Fältchen in seinem gebräunten Gesicht und die Ernsthaftigkeit in den intensiven, blauen Augen täuschten nicht über sein wirkliches Alter hinweg. Er war Ende zwanzig, Anfang dreißig.

 

Das Auffallendste an seinem Gesicht, außer den blauen Augen, war seine Nase, die überhaupt nicht der Norm entsprach. Vermutlich war sie einmal, vielleicht sogar mehrmals gebrochen worden und dann krumm wieder zusammengewachsen. Halblanges, strohblondes Haar hing ihm in wirren Strähnen ins Gesicht und bedeckte die ganze Stirn. Er trug ein cremefarbenes Hemd, eine blaue Jeanshose und eine rote Bandana.

 

„Scheißkälte!“, hörte Wanagan Sam Higgins fluchen. Er drehte sich um und grinste ihm frech ins Gesicht.

 

Higgins schleuderte ihm einen bitterbösen Blick entgegen, sagte aber nichts.

 

Hingegen Ron wusste nun genau, dass er sich vor diesem Mann in Acht nehmen musste, obwohl er um einen ganzen Kopf kleiner war als er.

 

Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass man beinahe keinem Menschen Vertrauen schenken durfte. Schon gar nicht solchen Wölfen, wie er selbst einer war. Trotzdem fühlte er sich nach wie vor unter ihnen sicher. Er sagte sich, dass er ihnen bei ihrem Coup noch würde wertvolle Dienste leisten können. Erst danach musste er aufpassen, dass sie ihn nicht kalt machten.

 

Schweigend füllte Frank Tolson den Kaffeekrug mit frischem Wasser und grobgemahlenen Bohnen und stellte ihn auf einem Dreibein über das Feuer. Dann begann er, den Männern den Rest Trockenfleisch zu verteilen.

 

„Und du, Junge? Hast du eigentlich nichts Eigenes bei dir?“, erkundigte sich Higgins aufsässig.

 

„Lass ihn!“ Mit einem herrischen Wink erstickte Tolson den beginnenden Zwist im Keim.

 

In einem Kreis setzten sich die vier um das Feuer und begannen zu essen. Keiner sagte ein Wort.

 

 

 

Erst als alle fertig waren und auch den heißen Kaffee getrunken hatten, schnarrte Frank: „Wir reiten jetzt in die Stadt. Ihr wisst, was ihr zu tun habt!“

 

„Ja, Boss“, nickte Wanagan, als der eisige Blick an ihm hängengeblieben war. Er sah den Mann ebenfalls scharf an.

 

Seit er wusste, wie Samuel Higgins über ihn dachte, war der einsame Wolf doch wachsam geworden. Er vertraute keinem dieser Männer. Ihre Gesichter gefielen ihm nicht. Er vertraute nur sich selbst, seinem Können, seinem Pferd und seinen Waffen. Er wusste, dass ihn diese vier niemals im Stich lassen würden.

 

Frank nahm den Topf von dem Gestell. Dieses zog er mit einem Stock neben den Flammenherd, dann schüttete er den letzten Rest Kaffee ins Feuer und warf noch Sand darauf, bis auch der letzte aufsteigende Qualm erstickt war. Danach stand er auf. Mit steifen Beinen ging er zu seinem Pferd hinüber.

 

Die drei Männer folgten ihm fast lautlos, als wären sie sein Schatten. Sie sattelten ihre Gäule und stiegen auf.

 

Tolson gab mit dem Kopf ein Zeichen, zog seinen grobknochigen Grauen herum und ritt schweigend an.

 

***

 

Die vier Reiter tauchten aus den White Plains auf. Der trockene Wüstenwind blähte ihre Hemden auf und dörrte ihre Körper aus.

 

Die Mähnen und Schweife der Pferde flatterten bei jedem Schritt. Die Tierleiber glänzten dunkel von Schweiß, aber ansonsten zeigten sie bis dahin noch keine Müdigkeitserscheinungen.

 

Staub hatte sich auf den Stiefeln, in Kleidung und Haaren festgesetzt. Die undurchdringlichen Männergesichter waren ebenfalls schmutzig, aber keiner störte sich daran.

 

Endlich hatten sie den Stiefelhügel erreicht. Der Friedhof war mit einem niederen Zaun umfriedet, der wilde Tiere fernhalten sollte. Finstere, einfache Kreuze erinnerten an die vielen Toten, die hier zur letzten Ruhe gebettet worden waren.

 

Neben dem Boothill stand eine kleine Scheune unter einem großen, knorrigen Ahorn. Dort vor der Hütte zogen die vier Reiter die Zügel an und schwangen sich aus den Sätteln.

 

Es war bereits fünf Uhr nachmittags.

 

Wanagan sah den drei Wölfen zu, wie sie ihre Hemden und Hosen gegen eine perfekte, aber schmutzige Goldgräberkleidung tauschten und die Sporen abschnallten.

 

Unser Boss scheint ein kluger Kopf zu sein, das muss man ihm lassen, überlegte Ronald, der die erste sichtbare Kostprobe von Tolsons Gedankengängen zu sehen bekam. Dieser Kerl denkt an alles. Von jetzt an heißt es vorsichtig sein, mein Junge. Keiner darf wissen, dass du schon längst Lunte gerochen hast.

 

„Hier, Wanagen!“, rief Frank halblaut. Er warf dem jungen Mann eine schmutzige Hose und ein grobkariertes Hemd zu, das ebenfalls fast vor Dreck stand.

 

Ron fing es auf. Er drehte es wenig erbaut in den Händen und betrachtete die Kleidungsstücke, ehe er sich ebenfalls umzog.

 

Die Hose war ihm zu weit und um gute zehn Zentimeter zu kurz. Er musste sie mit einem Lederriemen daran hindern, dass sie hinunterrutschte. Das dunkle Hemd war ihm dafür in den Schultern zu eng, so dass er es kaum wagen durfte, sich zu strecken. Vorsichtig bückte er sich und hob den Revolvergürtel vom Boden auf. Gleichwohl krachte es bereits in den Nähten. Noch behutsamer richtete er sich wieder auf und schnallte sich die beiden Remingtons um die Hüften.

 

Die drei anderen sahen ihm grinsend zu. Schadenfreude spiegelte sich in ihren kalten, grausamen Augen.

 

„Deine Sporen, Amigo“, erinnerte jetzt Frank Tolson schnarrend. Mit dem Finger zeigte er auf seine Stiefel.

 

Ron antwortete nicht. Er zog die Füße einzeln in die Höhe, um sich nicht noch einmal tief bücken zu müssen, und schnallte sich die silbernen Chihuahuasporen ab, die er dann mit seinen Kleidern in der Satteltasche verstaute. Zum Schluss sah er an sich hinunter, um festzustellen, was er in diesen dreckstarrenden Sachen für eine Figur abgab.

 

Was er sah, stellte ihn nicht gerade zufrieden, doch er trug es mit Fassung. Der eingetrocknete Schlamm blätterte langsam ab und weder Stiefel, noch der schwarze Cowboy-hut passten zu der erbärmlichen Erscheinung. Ron kam sich verdammt lächerlich vor.

 

„Wie eine Schießbudenfigur“, stellte er mit trockenem Humor fest. Er fuhr sich mit den Fingern kämmend durch das schwarze, im Sonnenlicht bläulich schimmernde Haar, ehe er den Stetson aufsetzte. Kratzte sich kurz die Bartstoppeln unter dem Kinn und schwang sich dann, dem Beispiel seiner Gefährten folgend, in den Sattel seines Schwarzen.