Eine neue asiatische Vogel-Seuche versetzt die Welt in Panik. Die Pharmaindustrie erlebt einen Höhenflug. Für Vogel- und Geflügelhalter gelten strenge Bestimmungen. Rebekka Handschin ist "Hobby-Hühnermutter". Nachbarn denunzieren sie bei den Behörden als Vogelgrippefall. Eine Tötungsmaschinerie nimmt an Fahrt auf. Rebekka wehrt sich, ihre Tiere töten und sich behandeln zu lassen, obwohl ihre Blutproben positiv sein sollen. Sie nimmt Kontakt zur Virologin Dr. Sabine Ullrich auf, die Unglaubliches behauptet. Nun ist die Angst präsent, dass sie ein Opfer der Pharmaindustrie werden soll. Denn die Pharmafirma BLOC benötigt dringend ihren ersten Vogelgrippetoten...

 

Blick in: Das Seuchenkartell

Anbei ein Textausschnitt aus dem Seuchenkartell:

viel Vergnügen beim Lesen

 

Am nächsten Tag schmerzte Rebekkas Kopf bis in den Nacken, und es zog bis hinunter zwischen die Schulterblätter. Das Fieber war auf 39.1 gestiegen. Das Schwarzwerden vor den Augen häufte sich, sie musste sich immer wieder irgendwo festhalten, konnte nicht mehr richtig geradeaus gehen.    

   Auch das Atmen bereitete ihr Mühe. Durch die verstopfte Nase konnte sie die nötige Luft fast nur durch den Mund einsaugen. Ein harter Panzer drückte auf ihre Brust. Es schmerzte, wenn sie die Lungen zu füllen versuchte und gegen die unsichtbare Macht ankämpfte, die ihren Oberkörper wie im Schraubstock festhielt und sie am Atmen hinderte.

   Christopher war für einmal ziemlich spät dran. Er hatte mitten am Vormittag eine Sitzung und konnte sich deshalb an diesem Morgen Zeit lassen für ein ausgiebiges Frühstück. Im Gegensatz zu seiner kranken Frau hatte er einen guten Appetit.

   Rebekka sass zwar mit ihm am Esstisch, doch sie war eigentlich gar nicht hungrig, stocherte nur unschlüssig in ihrer Milch mit Getreideflocken herum. Während er sich mit ihr zu unterhalten versuchte, wanderte ihr Blick immer wieder herum und zu den Fenstern hinaus. Vom Esstisch aus konnte sie rechterhand ihre Liegenschaft überblicken, oder geradeaus hinüber zu den Nachbarn und der Einfahrt sehen.

   Plötzlich hielten zwei Fahrzeuge – ein alter Audi in rostroter Farbe und ein weisser Bus – hintereinander in der Ausweichstelle. Jan Wyttenbach, der Wildhüter des Dorfes, verliess seinen Audi und stieg im Fond des vorderen Fahrzeugs wieder ein. Augenblicke später bog der weisse Bus von der Strasse auf ihr Grundstück ab. Er fuhr durch die mit Apfelbäumen gesäumte Allee. Der dreissig Meter lange Weg bis zum Haus bestand aus Mergel und gelbem Jurakies.

   „Wir bekommen Besuch.“

   Neugierig folgte Christopher ihrem Blick. „Das ist niemand, den ich kenne. - Du?“

   Rebekka verzichtete vorsichtshalber auf ein Kopfschütteln. „Nein. Aber einer von der Gemeinde ist bei ihnen.“

   Sie beobachteten gespannt und mit fragenden Mienen, wie der Bus heranfuhr und dann ein paar Meter vor der Haustüre anhielt. Ein Mann in weissem Arztkittel, mit schütterem, graumeliertem Haar, das seinen glänzenden, runden Schädel tonsurförmig umrahmte und eine hohe, kahle Denkerstirn begrenzte, und eine geissmagere Frau mittleren Alters mit dunkelblondem, streng nach hinten frisiertem und im Nacken mit einem Band zusammengehaltenem Haar stiegen aus.

   Wyttenbach umrundete den Fond des weissen Busses. Er war von mittelgrosser Statur, rothaarig und etwas über dreissig. Seine grüne Jagdhose spannte sich über seinem Bauchansatz. Unter dem Jagdrock trug er ein grünes Hemd mit einer roten Halsbinde, winterfeste halbhohe, gefütterte schwarze Schnürstiefel. Er war kräftig gebaut.

   Sie trugen alle weisse Staubschutzmasken vor den Gesichtern. Abwartend blieben sie in der Nähe des Wagens stehen.

   Christopher runzelte in einem Anfall von Beunruhigung die Stirn. „Was zum Geier wollen die denn bei uns?“, entfuhr es ihm, bevor ihm betreten der Unterkiefer absackte, weil ihm augenblicklich die Zusammenhänge klar wurden. Ruckartig stand er vom Esstisch auf und ging hinüber zum Sofa. Dort stützte er sich auf die Armlehne, um sich ein wenig vornüber zu beugen und besser aus dem Fenster zum Eingang sehen zu können.

   Der Mann im weissen Arztkittel lehnte sich mit dem Rücken ans Fahrzeug und blickte sich neugierig um. Es war ein grosses, dreistöckiges Haus aus der Zeit der Jahrhundertwende; neu renoviert und herausgeputzt wie ein Herrschaftshaus. Mit seinen weiss gestrichenen Eternittafeln wirkte es gross und stattlich. Beidseitig des Vorplatzes umrandeten kurz geschnittene Buchsbäumchen die Rabatten. Dahinter trieben die ersten Rosen ihre dunkelroten Blattknospen aus. Rhododendren und Azaleen auf der Rechten, standen links inmitten von Lavendelspitzen und Rosenschösslingen zwei Tessinerpalmen neben einem Meter fünfzig hohen Zierbrunnen aus Pferdeköpfen. Sie verliehen dem Portal noch mehr Herrschaftlichkeit mit einem Flair des Südens. Nach links führte ein mit chinesischem Granit ausgelegter Gehweg neben der säuberlich gestapelten Feuerholzbeige am Wohnzimmerfenster und dem Haus vorbei, dahinter eine steil abfallende, aus grobgehauenen Granitquadern bestehende Treppe hinunter in den Keller und ums Anwesen herum zur Garage, die mit dem Auto zu erreichen war, indem man die ganze Liegenschaft umfuhr. Da sie lediglich aus knapp tausend Quadratmetern bestand, reihten sich die Nachbarhäuser ziemlich nahe an.

   Geradeaus führte der Gehweg einem Bambushain entlang hinüber zur Pergola aus dunkel gebeiztem Holz, an dem sich Reben emporrankten. Das Dachwasser wurde auf der linken Seite in einem grossen Tank gesammelt, auf der rechten Seite stand ein grosses Metallfass, das demselben Zweck diente. Durch die Schneeschmelze hatte der um mehrere Zentimeter herausragende Eisdeckel im Zentrum ein kreisrundes Loch bekommen.

   Seitlich vom Haus, neben der Treppe, befanden sich schmale Rabatten aus Rosen und Lavendel, die praktisch die Hälfte des Grundstücks einfassten. Sie lagen noch unter zentimeterdickem, weissem Schnee, der erst am Abtauen war. Dazwischen war ein grosser Sitzplatz freigeschaufelt, auf dem ein langer Tisch und sechs Plastikstühle standen.

   Ein paar Meter weiter, hinter einer freien Fläche mit wenig Baumbestand, im hinteren Drittel des Grundstücks, sah der Arzt hinter dem Garten neben der Garage auf der linken Seite ein kleineres Holzhaus mit angrenzender Umzäunung stehen; das mussten das Hühnerhaus und der Laufhof sein. Schon von weitem hörte er die Tiere friedlich gackern.

   Ein vierter Mann kam von hinten um den weissen Kombi herum. Er war noch jung, Mitte zwanzig, mit einem noch weichen, mit dünnem Bartflaum bedeckten Gesicht, mittelgross und schlank. Mit seinen schwarzen Fliegerstiefeln, in denen die Armeehose ballonförmig endete, und seiner raspelkurzen Frisur sah er fast aus wie ein Gestapo-Soldat, der dem letzten Krieg entkommen war. „Soll ich schon los?“, fragte Peer Larsen auf Hochdeutsch.

   Markus Lichtsteiner schüttelte den Kopf. Das fahle Sonnenlicht spiegelte sich auf seiner wie ein Spiegel glänzenden Glatze. „Keine Voreiligkeiten. Der Chef will, dass wir keine Fehler machen. Es ist unser erster Fall hier in der Schweiz, und wir sollen nicht gleich Staub aufwirbeln. Ich sehe mich erst mal drinnen um.“ Er stiess sich mit seinem mächtigen Hintern vom Fahrzeug ab und trat auf den Eingang zu.

   Augenblicke später läutete es an der Tür.

 

Obwohl intuitiv vorbereitet, erschreckte sie der Klang der Glocke trotzdem. Die beiden wechselten beredte Blicke, in denen sich Betroffenheit aber auch Angst widerspiegelte. Rebekkas Herz schlug beunruhigt schneller. Eine dunkle Vorahnung machte sich in ihr breit…

   „Ich mache auf.“ Christopher ging hinüber in den Korridor. Er öffnete und streckte den Kopf zur halb offenen Türe hinaus. „Wer…?“, fragte er, als ihm der Mann, der draussen auf dem Podest stand, gleich ins Wort fiel:

   „Wir sind vom Bundesamt für Veterinär- und Gesundheitswesen. Ich bin Dr. Markus Lichtsteiner“, stellte er sich, jetzt ohne Schutzmaske, mit einem an sich freundlichen Lächeln vor.

   Wie ein Ei, das einen Riss bekommt, ging es Christopher durch den Sinn. Er fand es höchstens schleimig und in dieser Situation alles andere als angebracht.

   Lichtsteiner war ein klein gewachsener, aber korpulenter Mann mit ziemlich vorstehendem Bauch, über dem sich der weisse Stoff seines Arztkittels spannte, der ihm bis über die Knie reichte. Darunter trug er eine dunkelgraue Hose ohne Bundfalten und dicke, breitgetretene, schwarze Lederstiefel, die ihm bis zu den Waden reichten. Er hatte ein rundes, pausbäckiges Mondgesicht mit einer dünnen Ober- und fleischigen Unterlippe. Auf der fettig glänzenden Nase thronte eine Nickelbrille mit kleinen, runden Gläsern, die ihm einen ausserordentlich intellektuellen Ausdruck verlieh. Ohne sie hätte man ihn vielleicht nicht mal für einen studierten Menschen halten können. Vom linken Ohr baumelte die Atemschutzmaske, die er lediglich aus lauter Höflichkeit heruntergezogen hatte, nicht weil er sich sicher fühlte.

   Handschin schätzte ihn auf etwa fünfzig. Er überragte ihn um mehr als Haupteslänge. „Aha“, machte er, obwohl ihm längst alles klar war: „Und was wollen Sie hier?“

   „Wir wurden von jemandem aus Ihrer Nachbarschaft auf die plötzliche Erkrankung Ihrer Gattin hingewiesen. Aufgrund der akuten Problematik mit der Vogelgrippe ist es unsere Pflicht, jeder Information nachzugehen. – Ich entschuldige mich für die Störung, aber - kann ich sie sehen?“, fragte er, weil Chris keine Anstalten machte, etwas zu sagen oder den Weg freizumachen.

   Er drückte sich sehr gewählt und prägnant aus, man merkte, dass er sich jeden Satz gut überlegte, bevor er ihn aussprach. Er strahlte eine merkwürdige Reserviertheit aus, obwohl er sich um Kumpelhaftigkeit bemühte, dabei tönte es eher wie bei jemandem mit grossen Hemmungen, die in seinem Beruf jedoch völlig fehl am Platz waren.

   „Wen?“, fragte Handschin irritiert nach, während er sich überlegte, wie er auf diese absurde Situation reagieren sollte.

   Der Arzt lächelte nachsichtig. „Ihre Frau, natürlich.“

   „Ach so.“ Handschin atmete tief ein. Das ungute Gefühl, dessen sich auch schon Rebekkas bemächtigt hatte, machte sich nun auch in ihm breit. Er hatte eigentlich und in erster Linie nur an die Hühner gedacht, doch jetzt… Oh mein Gott! Er bewegte sich um keinen Zentimeter. „Was wollen Sie denn von ihr?“, fragte er mit zusammengezogenen Augenbrauen argwöhnisch, um Zeit zu gewinnen, obwohl es ihm wie Schuppen von den Augen fiel.

   „Ich möchte mich nur von ihrem Gesundheitszustand überzeugen.“ Dr. Lichtsteiner machte einen Schritt vorwärts und versuchte sich mit seinem breiten Wanst an ihm vorbeizuschieben. „Im Wohnzimmer, nehme ich an?“, erkundigte er sich mit seinem teigigen Lächeln.

   Doch Handschin liess ihn nicht passieren. Er stand unverrückbar wie ein Fels und verbarrikadierte ihm den Eingang. Seine Gedanken rasten. Was soll ich nur tun? Das kann doch alles gar nicht wahr sein, oder? „Sie sind gar nicht vom Bundesamt für Veterinärwesen!“, behauptete er im verzweifelten Versuch, auf Zeit zu spielen.

   Lichtsteiner deutete ein kleines, verständnisvolles Nicken an: „Das ist nur teilweise falsch. Wir wurden von Bern aus zu Ihnen geschickt. Wir sind vom BLOC; das arbeitet in diesem Fall eng mit dem Veterinäramt zusammen.“

   „Vom BLOC habe ich noch nie etwas gehört“, grummelte Christopher zweifelnd. Eine vage Hoffnung glimmte in ihm auf, dass er den Mann als Lügner wieder wegschicken könnte.

   Doch dieser nickte. Seine Miene war unverkrampft und offen, und es sah tatsächlich so aus, als würde er die Wahrheit sagen: „Das ist gar nicht so unverständlich. Unsere Firma hat Sitz in Belgien. – Hier ist meine Karte.“ Lichtsteiner zückte sie aus dem Revers und streckte sie Handschin entgegen.

   Dieser warf einen prüfenden Blick darauf: „Belgic Logistic Organisation Center“, und runzelte die Stirn. Belgisches logistisches Organisationszentrum. Ein klingender, aber nichtssagender Name… „Was auch immer das heisst…“, brummte er.

   „Wir sind die, die in diesem Fall auch die Drecksarbeit erledigen. – Kann ich Ihre Frau jetzt sehen?“

   „Was heisst Drecksarbeit - auf unseren Fall bezogen?“, fragte Handschin mit hochgezogener Augenbraue misstrauisch.

   Lichtsteiner versuchte sein gewinnendstes Lächeln. „Das ist der schönere Teil unserer Arbeit. Ich habe den Auftrag, Ihre Frau zu untersuchen und festzustellen, ob sie tatsächlich die Vogelgrippe hat. – Ich bin wirklich Arzt“, ermunterte er, während er seine angelaufene Brille mit einem Zipfel des Kittels polierte.

   Doch Christopher schien wie mit dem Boden und dem Türrahmen verwurzelt, obwohl es inzwischen reichlich frisch im Haus geworden war. Ich glaube nicht, dass ich möchte, dass der meine Frau nackt sieht. Er fröstelte leicht, aber vielleicht waren es auch bloss die blank liegenden Nerven, die ihn seit Lichtsteiners Auftauchen plötzlich durchzuckenden beängstigenden Gedanken…

   „Welches Fach?“, deutelte er herum, im Versuch, den entscheidenden Moment der Ohnmacht und der Aufgabe so lange wie möglich hinauszuzögern. Er gab sich so stur wie ein Maulesel, zumal Lichtsteiners Vorstellung und vor allem das zu temperamentvolle Eindringen-Wollen nicht gerade positiv ausgefallen war.

   „Allgemeinpraktiker. – Es steht da drauf.“ Dieser deutete auf die Karte in Handschins Hand.

   „Ich kann es nicht lesen. Ist wohl belgisch?“

   Der Arzt nickte. „So ist es. – Kann ich jetzt rein?“

   Doch Christopher dachte noch lange nicht daran. Zuerst will ich noch ein paar Dinge geklärt haben… „Was ist, wenn sie die Vogelgrippe hat?“

   „Dann werden wir sie ins Krankenhaus auf die Quarantänestation überweisen.“ Lichtsteiner setzte die Brille wieder auf seine knollige Nase.

   Wieder runzelte Handschin die Stirn. „So was gibt es hier bei uns doch gar nicht.“

   „Wir sind für alle Fälle vorbereitet, keine Angst. Ihrer Frau wird es dort gut gehen.“

   Wenig überzeugt und doch mit plötzlich riesiger Angst vor dem Verlust seiner Frau machte Christopher Handschin dem fremden Arzt endlich den Weg frei. Dabei taumelte er fast ein wenig: Was ist, wenn Rebekka tatsächlich die Vogelgrippe hat? Er wusste nur, dass bisher alle diese Patienten innerhalb kürzester Zeit gestorben waren!

   Plötzlich war es ihm ausserordentlich wichtig, dass Rebekka untersucht wurde. Er musste es jetzt wissen und zwar schnell! Die Angst legte sich wie eine eiserne Klammer um sein Herz, drückte ihm die Luft ab und liess ihn kaum noch atmen. Seine Gedanken wirbelten durcheinander: Was soll ich ohne Rebekka tun? Und die Kinder? Oh mein Gott! Wir hatten doch noch viel zuwenig Zeit miteinander…!

  

Währenddessen walzte Lichtsteiner bereits durch die Türe ins Wohnzimmer. Er sah die junge Frau mit untergeschlagenen Beinen auf dem Sofa sitzen und ihm mit gerunzelter Stirn entgegenblicken. Sie sah müde aus. Unter ihren Augen lagen dunkle Ringe. Das ovale Gesicht war vom hohen Fieber erhitzt und aufgedunsen. „Guten Tag, Frau Handschin“, grüsste er freundlich.

   „Tag.“ Ihre Antwort erfolgte mechanisch. Sie stellte fest, dass er sehr buschige Brauen und leicht abstehende Ohren hatte.

   Christopher folgte ihm hinterher ins Wohnzimmer, nachdem er die Türe geschlossen hatte. „Wer von unseren Nachbarn hat Sie denn informiert?“, wollte er streitsüchtig wissen.

   Lichtsteiner drehte sich mit einem milden Lächeln nach ihm um: „Das darf ich Ihnen leider nicht sagen, das untersteht meiner ärztlichen Schweigepflicht. – Fakt ist jedoch, dass Sie selbst es nicht gemeldet haben, und so müssen wir ganz einfach aufgrund von Aussenstehenden handeln.“

   Handschin und seine Frau warfen sich beredte Blicke zu. Über seiner Nasenwurzel entstand eine steile Falte, die seinen Unwillen bekundete.

   „Und was wollen Sie also von mir?“, fragte Rebekka ausser Atem ziemlich beunruhigt.

   „Es wurde uns gesagt, dass Sie an sehr hohem Fieber und Atemnot leiden. – Von heute auf morgen?“

   Sie nickte. „Seit gestern Nacht. – Ja, und?“

   „Ich würde Sie gern untersuchen.“

   Sie schüttelte den Kopf. Dieser Mann und die Art und Weise, wie er sich hier anbiederte, waren auch ihr unsympathisch. Er war kein Arzt, von dem sie sich gern berühren liesse. Um ihn abzuwimmeln, log sie: „Das hat unser Hausarzt schon getan. – Es ist alles in Ordnung.“

   Markus Lichtsteiner schüttelte verneinend den Kopf. „Das glaube ich nicht, meine Liebe. Es ist höchst ungewöhnlich, dass jemand akut und wegen nichts so plötzlich ausserordentlich hohes Fieber bekommt. Aufgrund der ebenfalls aufgetretenen Atemwegserkrankung müssen wir im momentanen Fall unbedingt davon ausgehen, dass Sie am asiatischen Typ des Vogelgrippevirus erkrankt sein könnten!“, erklärte er ihr freundlich, aber mit sehr bestimmtem Unterton.

   „Das ist absoluter Blödsinn, Doktor!“, widersprach sie mit ärgerlich gerunzelter Stirn.

   Dieser stellte seinen Arztkoffer auf den Mokkatisch und krempelte die Ärmel hoch. „Wenn Ihr Arzt Sie tatsächlich untersucht und uns den Fall nicht gemeldet hat, dann hat er grob fahrlässig gehandelt und sich strafbar gemacht! – Wer ist Ihr Hausarzt?“

   „Das tut doch nichts zur Sache, wenn ich die Vogelgrippe nicht habe!“, fauchte Rebekka ungehalten über seine Dreistigkeit und wütend über das unerhörte Benehmen der Nachbarschaft, „- und stellen Sie Ihre Tasche nicht auf meinen Tisch! Sie zerkratzen mir das teure Glas!“

   Lichtsteiner stellte seine Tasche höflichkeitshalber auf den Boden und zuckte gleichgültig die Achseln. „Wir werden es auch so rausfinden, Frau Handschin. – Also, es wäre besser, wenn Sie mit uns kooperieren würden…“

   Christopher lehnte sich hinter ihm mit dem Rücken gegen den warmen Kamin und wusste nicht, wie er sich in dieser unerwarteten und verkehrten Situation verhalten sollte.

   „Was wollen Sie?“, knurrte Rebekka den Arzt an wie ein Hund.

   Dieser versuchte es mit einem freundlichen Lächeln: „Sie abklären, Blutdruck und Puls messen, eine Blut- und Speichelprobe…“

   „Das ist alles?“, fragte sie mit gerunzelter Stirn misstrauisch.

   Während er nickte, zuckten gleichzeitig seine Achseln. „Vorläufig schon.“

 

Im selben Moment sah Rebekka aus den Augenwinkeln eine Person im Schutzanzug aus dem Wagen steigen. Ihr war sofort klar, was das zu bedeuten hatte. Die unförmige, cremefarbene Gestalt mit der Atemmaske ging an ihrem Fenster vorbei. In den dick behandschuhten Händen hielt sie ein grosses Fangnetz. Und Rebekka wusste, die will zum Hühnerhof und dort ihren Lieblingen an den Kragen!

   „Nein!“ Mit einem wütenden, angstvollen Aufschrei unterbrach sie die Unterhaltung. Sie vergass ihre Krankheit, die Wut verlieh ihr Flügel und verdrängte die Schmerzen in ihrem Kopf. Mit einem Satz, den sie sich selbst nicht zugetraut hätte, sprang sie vom Sofa in die Höhe und raste wie der Wind in ihren Hauslatschen an Lichtsteiner vorbei zur Türe hinaus ins Freie.

   Dieser drehte sich betreten mit offenem Mund nach ihr um.

   Christopher blickte ihr besorgt hinterher.

   Sie vergass Jacke und Stiefel und rannte in ihren Pantoffeln durch den frisch gefallenen Schnee. Der Boden war matschig und leicht angetaut. Um ein Haar wäre sie ausgerutscht. Mit allen vieren in der Luft, mit Armen und Beinen rudernd, schaffte sie es um die Ecke.

   Handschin traf ein missbilligender Blick. Ungeachtet dessen drehte er sich selbst auf dem Absatz um und liess den grummelnden Dr. Lichtsteiner stehen. Er eilte hinaus in den Korridor, sprang in seine Turnschuhe und riss seine und Rebekkas Jacke vom Haken. Schnell bückte er sich nach ihren Stallschuhen, die auf dem untersten Treppenabsatz standen, dann eilte er durch die offene Türe hinter ihr her.

   „Bleiben Sie von meinen Hühnern weg!“, hörte er sie schreien, während er an Jan Wyttenbach vorbeihastete und sah, wie seine kranke Frau am Bambushain und der Pergola und dann an der Gestalt vorbeisprintete, ohne dass ihr das Fieber anzumerken wäre. Trotz der erschreckenden Situation verbiss er sich ein erheitertes Grinsen.

   Neben der Stallstüre schnappte sich Rebekka eine Schaufel, die dort immer in Griffnähe stand, weil sie sie zum Misten brauchte. Sie packte den Stiel mit beiden Händen und drehte sich breitbeinig und angriffslustig dem Eindringling entgegen. Ihre Kiefermuskeln zuckten, die Augen leuchteten klar, obwohl sie zusammengekniffen waren. Schützend blieb sie vor der Stallstüre stehen. Die Fingerknöchel traten weiss hervor, so fest hielt sie die Schaufel vor ihrer Körpermitte gepackt. „Keinen Schritt weiter!“ Ihre Geste machte den drohenden Ton unmissverständlich. Stopp, oder ich werde die Schaufel als Waffe gebrauchen! Ihre braunen Augen glitzerten vor Wut – und Fieber? Sie stand da, den Oberkörper leicht vornüber gebeugt, wild wie eine Tigerin, die im nächsten Moment auf das Opfer losspringen würde.

   Christopher erkannte seine brave Frau fast nicht wieder. Doch er war sich sicher, dass sie die Schaufel auch tatsächlich zu ihrer Verteidigung benutzen würde, wenn die Person jetzt einen Fehler machte. Er überholte die Frau im Schutzanzug.

   Diese blieb erst mal in sicherem Abstand stehen und wusste augenblicklich nicht, wie sie sich verhalten sollte.

   Der Wildhüter schloss mit Lichtsteiner zu ihr auf. Er war noch ledig und stammte aus demselben Dorf. Durch die morgendliche Kälte war sein Gesicht gerötet, das karottenrote Haar stand ihm unzivilisiert vom Kopf ab. Hingegen war er bis auf seinen dünnen Schnauzer und ein schmales Kinnbärtchen glatt rasiert.

   Was Handschin nicht von sich behaupten konnte. Er rasierte sich wegen seiner empfindlichen Haut nicht jeden Tag. Er hatte seine Frau erreicht und trat neben sie.

   Ausgerechnet heute trug sie ihren grünen Schlabberpulli und die weiten Jeans mit Flicken an den Knien und Gesässtaschen. Und mit ihrem verquollenen Gesicht sah sie nicht gerade sehr elegant aus. Er legte ihr die Jacke um die bebenden Schultern und umspannte dann mit seinen grossen Händen ihre Oberarme. Es sah aus, als hielte er sie im Arm, stattdessen presste er jedoch ihre Arme so fest, dass sie sich nicht gegen ihn wehren konnte.

   Vom schnellen Laufen hob sich ihre Brust in heftigen Atemzügen. Das Blut pulsierte wie mit Messerstichen in ihrem Kopf, als wollte ihr der Schädel platzen. Tanzende Sterne wabberten durch die Schwärze vor ihren Augen. Rebekka schwankte wie eine Boje bei schwachem Wellengang. Nur Sekundenlang hielt sie die Augen geschlossen, während sie mit leicht geöffneten Lippen und leise keuchend genügend Luft in ihre Lungen zu pumpen versuchte.

   „Es geht ja vorerst nur um einen Bluttest, Schatz“, beruhigte er sie. Doch er spürte, dass sie weit davon entfernt war, sich zu beruhigen.

   „Hier geht kein fremder Mensch rein! Damit die Kerle mir die Seuche wie ein Kuckucksei ins Nest legen?“, keifte sie.

   In Anbetracht der Situation und ihres Aussehens staunte er über ihre Kraft und ihr Selbstvertrauen. Es machte ihn aber auch irgendwie stolz, dass sie sich nicht überrumpeln lassen und kampflos ihre Tiere aufgeben wollte.

   Wyttenbach machte einen Schritt auf sie zu und schlug sachlich vor: „Wir verstehen Ihre Bedenken, Frau Handschin. – Dann holen Sie uns doch bitte ein Huhn, das wir zur Untersuchung mitnehmen können.“

   Die Frau drehte den Kopf und blickte beunruhigt hinüber zu Lichtsteiner. Sie tauschten beredte Blicke aus.

   Rebekka sah Christopher fragend, aber misstrauisch an.  

   Dieser nickte. „Ich finde den Vorschlag in Ordnung.“

   Doch sie zögerte.

   Er wusste auch warum. „Keine Angst, Schatz, an mir kommen sie auch nicht vorbei. – Aber zuerst ziehst du deine Stiefel und die Jacke an, damit du nicht noch mehr krank wirst.“

   „Danke.“ Sie lächelte ihn liebevoll an.

   Er half ihr in die Jacke und hielt sowohl sie als auch die Stiefel fest, damit sie nicht umkippten. „Also, nun geh’ schon, damit wir die Sache schnell hinter uns bringen, okay?“

   Mit einem tiefen Seufzer und einem niederschmetternden Blick auf Lichtsteiner drehte sie sich um und machte sich daran, die Verschläge an der Türe zu öffnen.

   Sofort zog sie diese wieder hinter sich zu, damit ihr kein Huhn entwischte oder allenfalls ein eingeschleppter Virus eindringen könnte. Nach wie vor war sie tief im Innersten überzeugt, dass sie nicht an der gefürchteten asiatischen Variante der Limbara-Seuche litt, zumal keines ihrer Hühner krank oder gestorben war. Nicht ein einziges!

   Ihr Blick schweifte in die Runde, suchte sich einen jungen Hahn aus, der in absehbarer Zeit ohnehin geschlachtet werden musste. Geduckt lief sie mit leicht angewinkelten Armen langsam hinter dem Tier her, redete mit ihm, versuchte es zu beruhigen. Obwohl die Tiere sie kannten, waren sie keineswegs zutraulich. Verstört wich der Gockel bis an die Stallwand zurück, versuchte dann seitlich auszubrechen. Blitzschnell schossen Rebekkas Arme nach vorn. Der Hahn machte einen Satz. Anstelle des ganzen Tieres kriegte Rebekka lediglich die Schwanzfedern zu fassen und hielt fest. Wild mit den Flügeln flatternd, kreischte das Tier in höchster Todesnot. Es konnte nicht verstehen, was mit ihm passierte und fühlte sich von seiner Herrin genauso behandelt, als wenn ein Fuchs ihn zwischen den Lefzen hätte.

   Die anderen Hühner fielen in das Gackern ein. Bubi, der Chef-Hahn und Erzeuger des jungen Gockels, streckte sich zu seiner vollen Grösse, breitete die angewinkelten Flügel aus und machte einen Satz auf Rebekka zu. Doch diese liess nicht los, obwohl ihr ein Adrenalinstoss heiss durch den Körper fuhr. Ein angriffslustiger Hahn könnte sie ziemlich verletzen. Doch Bubi liess es bei seinem Scheinangriff bewenden, und auch die anderen Hühner beruhigten sich.

   Rebekkas Linke fasste nach und umschloss seine weiche Brust, bevor sie den Hahn hochhob und auf den Arm nahm. Zwischen Ellbogen und Oberarm eingeklemmt, änderte sie die Stellung und legte ihn sich wie ein Baby auf den Arm, die andere Hand glitt beruhigend streichelnd vom Kopf über den langen Hals zum Rücken hinunter. Sie redete noch immer auf das nervöse Tier ein, als sie leicht wankend und mit gerötetem Gesicht mit ihm aus dem Stall trat.

   Lichtsteiner und die Frau im Schutzanzug sahen ihr böse entgegen. Das hatte es bisher noch nie gegeben, dass sich jemand weigerte, seine Tiere herauszugeben und sie nichts dagegen unternehmen konnten. Und es ärgerte sie, dass auch der Wildhüter, den sie extra als Verstärkung hatten kommen lassen, nicht vehement einschritt.

   Diesem war nicht wohl in seiner Haut. Er war zwar ein Einheimischer und Handschins wohnten lediglich wenige Jahre in seiner Gemeinde, trotzdem hatte er ein ungutes Gefühl bei der Sache. Einen Wilderer wie einen Verbrecher zu behandeln war eines, einer angstvollen Frau ihre Tiere zu entreissen etwas völlig anderes.

   Die Frau im Schutzanzug trat ihr entgegen und nahm ihr das Tier ab. „Danke.“ Sie lächelte ein wenig gezwungen, während sie den kreischenden Junghahn etwas zu kräftig zwischen ihren dicken Plastikhandschuhen und den Schutzanzug drückte, um des Widerspenstigen Herr zu werden.

   Rebekka streichelte dem Tier über Kopf und Hals und verabschiedete sich, als wäre es ein lieber Freund.

   Larsen und Lichtsteiner sahen sich mit einem vielsagenden „Die spinnt doch wohl“-Blick an.

   „Das habe ich gesehen!“, maulte sie sofort, während die Frau in fast fluchtartiger Geschwindigkeit den Hahn zum Bus hinübertrug.

   Ohne sich von den Männern ablenken zu lassen, wurde Rebekka augenblicklich klar, wie ihr Hähnchen gleich enden würde: unbarmherzig kopfüber in den Schlitz des Vergasungscontainers gestopft, dabei Kopf und Füsse anschlagend und im finsteren Kunststoffmonster zu Boden plumpsend. Vielleicht würde es auf anderen Hühnern landen, die bereits halb ohnmächtig oder schon vergast waren…

   Mit genau denselben Gedanken blickte ihr Christopher betroffen hinterher und war fast ein wenig erleichtert, als Rebekka der Frau hinterherrannte.

   „Augenblick, Fräulein! Warten Sie!“, schrie sie so laut, dass diese sie trotz Kopfhaube hören musste.

   Nur zögernd blieb sie stehen.

   Sofort stand Rebekka neben ihr und streckte die Hände aus. „Sie wollen das Tier doch nicht lebendig in diese Tonne werfen, oder?“

   Die Frau nickte. „Das ist unser übliches Vorgehen.“

Entschieden schüttelte Rebekka den Kopf und entriss ihr den Hahn, bevor sie es verhindern konnte: „Geben Sie ihn her! Mein Baby wird auf keinen Fall so enden!“

   „Nun haben Sie sich doch nicht so!“, maulte Wyttenbach sie nun doch leicht genervt an, weil er am liebsten so schnell wie möglich wieder verschwinden möchte.

   Rebekka wirbelte mit Zornesröte im Gesicht zu ihm herum: „Sie können meinetwegen denken, was Sie wollen, Sie…!“ Es fiel ihr gerade nichts Passendes ein, mit dem sie ihn betiteln könnte, ohne ein schlimmes Wort zu verwenden, das man nicht aussprechen sollte.  

   Christopher sah, wie sich ihre Lippen tonlos bewegten.

   Stattdessen fuhr sie fort: „Ich liebe jedes meiner Tiere und kann es nicht fassen, dass Sie so unsensibel mit ihnen umgehen können!“ Sie bedachte ihn mit einem mehr als feindseligen Blick. „Sie als Wildhüter sollten Tiere ja auch lieben!“

   „Wenn ich Tiere abschiesse, tue ich nur meine Pflicht!“, gab dieser unbehaglich zurück. Sein Gesicht war ähnlich rot wie Rebekkas und stach fast mehr aus dem frischen Schnee heraus als sein rotes Haar.

   Sie taumelte. Sie regte sich zu sehr auf! „Schatz!“ Christophers Herz machte einen Satz. Augenblicklich stand er neben ihr und stützte sie.

   „Nun kommen Sie schon, Frau Handschin! Wir haben nicht ewig Zeit! Wir brauchen dieses Huhn, um es zu untersuchen!“, rief ihr die Frau ungeduldig zu.  

   „Und dann brauchen wir auch noch eine Blutprobe von Ihnen!“, drängte Lichtsteiner aus sicherer Entfernung. In den Händen hielt er eine Spritze und ein kleines, säulenartiges Gerät mit dem Armkompressor.

   Ihre Miene wurde abweisend und feindselig. „Kommen Sie mir nicht zu nahe!“

   „Rebekka, du musst es tun!“, beruhigte Christopher sie drängend.

   Doch ihre Miene blieb verstockt. „Jetzt erst recht nicht mehr! Vielleicht wollen sie mich mit dieser Blutabnahme vergiften?“

   „Frau Handschin, ich bin empört über Ihr rüdes Benehmen! Sie tun ja geradeso, als wollten wir Sie mit irgendetwas verseuchen!“, rief der Arzt kompromittiert.

   „Jawohl! - Genau das stelle ich mir vor, Doktor!“, bestätigte sie nickend und streckte die Hand aus. „Nach allem, was hier vorfällt, fühle ich mich von Ihnen genötigt wie ein Tier, das in den Schlachthof gebracht werden soll! Können Sie sich in etwa eine Vorstellung davon machen, wie das ist?“, ereiferte sie sich.

   „Rebekka…“, versuchte ihr Mann sie zu beruhigen. Ihm war die ganze Situation mehr als peinlich. Er hätte sich nicht im Traum ausmalen können, dass seine Frau einmal derart durchdrehen würde. Doch er konnte nicht anders, als zu ihr zu halten. „Gib ihnen das Huhn, Schatz. Du hast ja noch die anderen…“

   Sie warf ihm einen traurigen Blick zu. Du verstehst es also auch nicht! Ihre Wangenmuskeln zuckten. Sie seufzte tief auf, während sich ihre Augen mit Tränen füllten.

   Der Hahn in ihren Armen gackerte und versuchte sich aus seiner misslichen Lage zu befreien.

   Schliesslich nickte sie: „Aber es muss schnell und jetzt geschehen! Und niemals in diesem Kübel! – Auf der Scheiterbeige vor dem Haus liegt ein Beil! Sie können ihm hier und jetzt gleich den Kopf abschlagen, Doktor!“  

   Der Griff ihrer Arme lockerte sich. Sofort begann der Hahn zu zappeln, in der Hoffnung, sich zu befreien, doch sogleich fiel und hing er kopfüber. Dabei flatterte er wie wild und stiess einen neuen, laut kreischenden Angstschrei aus, der Christopher durch Mark und Bein drang. Noch nie hatte er ein Huhn so panisch schreien gehört. Sofort gaben die anderen Hühner und vorab der Hahn im Stall lauthals Antwort. Man hörte, dass der Gockel gegen die Behandlung seines Juniors lautstark protestierte.

   Rebekka hielt ihn nur an einem Bein. Bedächtig griff sie nach dem zweiten, dann nach dem einen, dann dem anderen Flügel und hielt den Hahn in die Höhe und so fest, dass er nicht mehr zappeln konnte. „Wer möchte?“, fragte sie ironisch in die Runde.

   Doch niemand meldete sich freiwillig. „Das geht so nicht, Frau Handschin!“ Wyttenbach schüttelte fast erschrocken den Kopf. „Das Ansteckungsrisiko für uns ist viel zu gross.“

   „Mein Hahn ist nicht krank!“, wiederholte Rebekka protestierend.

   „Trotzdem…“

   „Soll ich deinen Vater anrufen?“, fragte Christopher fürsorglich, der begriff, dass sich gleich ein Drama abspielten würde, wenn man ihr das Tier wieder wegnahm.

   Aber Rebekka schüttelte entschieden den Kopf: „Nein. Keine Zeit. - Ich will ihn da nicht mit reinziehen - oder gefährden“, lenkte sie ein.

   Bereits machte die Frau im Schutzanzug einen erleichterten Schritt nach vorn, doch Rebekka brauchte nur das Kinn vorzustrecken, um sie zum Stehen zu bringen.

   Christopher war zutiefst besorgt. „Rebekka…“

   „Hol’ mir bitte ein Scheit, Schatz“, sagte sie anstelle einer Antwort. „Und das Beil!“

   „Was? - Du willst…?“, fragte er stockend. Begreifend wurde er blass und musste heftig schlucken.

   Sie nickte, wild entschlossen. „Wenn es sonst niemand tun will…“

   „Aber – du hast das noch nie gemacht…! - Kannst du das denn?“ Christopher blickte sie so verdattert mit entsetzter Miene und weit aufgerissenen Augen an, dass sie in einer anderen Situation hell aufgelacht hätte. Aber es war keine andere Situation, sondern eine todernste.

   Sie zuckte scheinbar gelassen die Achseln. „Ich habe ja schon oft dabei zugesehen.“ Sie sah ihn dabei nicht an, sagte es fast leichthin, als würde es ihr nichts ausmachen.

   „Du bist zu schwach…“

   „Du bist ja da, falls ich ohnmächtig werde...“  

   Mit dem Hühnchen wie einen umgekehrten Blumenstrauss in der Hand, wartete sie, bis Christopher mit beidem vom Haus her zurückkehrte. Ihm war sichtlich nicht wohl bei der Sache. Obwohl sie sich mit tiefen Atemzügen konzentrierte, büsste sie für ihr vorheriges falsches Verhalten mit einem Anfall heftigster Kopfschmerzen, und ihr Kreislauf spielte verrückt.

   Handschin sah, dass sie sich nur mit Mühe aufrecht und die Tränen trotzig zurückhielt. Er bückte sich nach einem groben, herumliegenden Holzklotz, mit dem die Kinder gespielt und nicht weggeräumt hatten. Er legte ihn Rebekka vor die Füsse und streckte ihr ein fast armdickes Scheit entgegen. Er war ausgesprochen besorgt.

   Ihre Blicke begegneten sich. Ihre Augen schwammen in Tränen.

   Er hatte Angst, dass sie womöglich daneben hauen und sich selbst treffen könnte…

   „Können Sie das Blut aus einem Kübel abzapfen?“, fragte sie noch kurz, bevor sie ernst machte.

   Die Frau nickte.

   „Ich hole dir eine Schüssel aus der Küche“, bemerkte Christopher und sprintete schnell davon. Wenig später stellte er ein rundes Plastikgefäss neben sie in den Schnee.

   Rebekka blickte die Frau an. „Sind Sie bereit?“

Diese hielt Spritze und Nadel in der Hand und nickte.

   Rebekka holte tief Atem. Die kalte Schneeluft stach in ihren Lungen. Sekundenlang presste sie die Augen zusammen, drückte die Tränen hinaus und holte innerlich neue Kraft. Jetzt, wo wieder etwas zu tun war, konnte sie ihre Kopfschmerzen und den Herzrhythmus etwas besser kontrollieren.

   Aller Augen warteten auf den grausamen Augenblick.

   Christophers Blick war beunruhigt. Wenn sie nur nicht daneben schlägt!

   Rebekka zog den Arm mit dem Scheit auf. Das Hähnchen in ihrer Hand bewegte sich nicht. Zielsicher knallte sie ihm das Holz über den kleinen Hühnerschädel. Der Kopf des Hahns baumelte herab, als wenn der Nacken bereits gebrochen wäre.

   Handschin schluckte krampfhaft. Er hatte noch nie dabei zugeschaut, wenn ein Huhn oder ein anderes Tier geschlachtet wurde. Und jetzt musste er ausgerechnet dabei stehen, weil er Angst um seine Frau hatte. Doch der Anblick grauste ihm.

   Noch nie hatte er Rebekka so gesehen. Ihr Gesicht war aschgrau.

Seines nicht minder.

   Ihre Lippen waren so hart aufeinandergepresst, dass sie zu einer einzigen, weissen Linie geworden waren. Ihre Kiefermuskeln zuckten eins ums andere Mal, Tränen flossen über ihre Wangen, ihre Nasenflügel blähten sich, um genügend Luft einzusaugen. Doch sie blieb standhaft und taumelte nicht. Stattdessen machte sie einen Schritt seitwärts, wo das Kantholz am Boden lag, das er ihr zurechtgelegt hatte. Sie liess das Scheit fallen und griff nach dem Beil in seiner Hand.

   Rebekka musste sich tief bücken. Sie legte den Kopf des Hahns quer über das Holz, so dass er seitlich etwas darüber hinausschaute. Schnell leckte sie sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. Ihre Augen schlossen und öffneten sich, um die Tränen hinauszupressen.

   Dann hob sich die Hand mit dem Beil und sauste mit brutaler Geschwindigkeit auf den Hals des bewusstlosen Tieres nieder. Sein Blut spritzte weit herum. Rebekka hatte sich so tief hinunter gebeugt, dass es sie voll ins Gesicht und am ganzen Körper traf, da sie keine Schürze trug.

   Christopher schloss schnell die Augen und flüchtete taumelnd gegen die Wand des Hühnerhauses. Doch nicht schnell genug. Ihm wurde schlecht von dem, was er miterleben musste.

   Doch der Kopf war noch nicht ganz ab. An einem Hautfetzen hing er noch am Körper. Der Hahn zappelte und kriegte einen Flügel frei. Wild flatternd versuchte sich das geköpfte Tier aus der Umklammerung seiner Füsse zu befreien. Rebekka hob wieder die Hand. Mehr als einmal sauste das Beil erfolglos auf den Hautstrang nieder, schliesslich säbelte sie ihn mit der scharfen Kante über dem Holzklotz ab. Der Kopf fiel hinunter in den weichen Schnee, wo er verkrümmt in einer Blutlache sekundenlang noch den Schnabel auf und zu sperrte und dann reglos liegen blieb.

   Der kopflose Rumpf des Hahns zappelte in ihrer Linken weiter wild hin und her, verspritzte das Blut nach allen Seiten. Um den abgetrennten Kopf herum frass sich der rote Lebenssaft in Form eines grotesken Gemäldes in den frischen Pulverschnee. Rebekka streckte sich schnell, um vorab das Gesicht aus der Gefahrenzone zu bringen. Maskenhaft bleich hielt sie den Hahn über das bereitgestellte Plastikgefäss und liess ihn ausbluten; Tropf um Tropf hinunter in den Kübel und im Schnee verspritzt, einen unendlich lang scheinenden Moment begleitet vom schaurig-gurgelnden Geschrei des geköpften Tieres. Es dauerte lange, bis sich die Nerven beruhigten, die Zuckungen von Kopf, Schnabel und Körper aufhörten und der junge Gockel vollständig ausgeblutet war.      

Rebekka war völlig erschöpft. Das Beil entglitt ihrer kraftlosen Hand. Mit einem dumpfen Knall landete es zuerst auf dem Kantholz und dann neben dem abgeschnittenen Kopf. Taumelnd wischte sie sich mit dem Ärmel über Stirn und Augen, ohne an die vielen Blutspritzer zu denken, die sie dabei im halben Gesicht verschmierte.

   Alle blickten sie an wie ein Gespenst aus einem Horrorfilm.

   Bei diesem unsinnigen Gedanken verbiss sie sich ein Grinsen und blickte an sich hinunter. Sie sah tatsächlich aus, als hätte jemand einen Kübel Blut über ihr ausgeleert.

   Selbst Wyttenbach, der als Jäger doch schon öfters Tiere geschossen hatte, sah bleich und ein bisschen verstört aus. Wie alle anderen hatte er sich seinen heutigen Auftrag ein wenig anders – und vor allem viel einfacher - vorgestellt: hinfahren, ausräumen, wegfahren. Doch mit dieser Situation fühlte er sich ziemlich überfordert.

   Rebekka legte das tote Hähnchen auf das mit Blut und Federn besudelte Kantholz und hob das verschmierte Plastikgeschirr auf. Damit ging sie auf die Leute zu, die auf ihre Blutprobe warteten.

   Alle wichen ängstlich zurück vor Angst, sie könnten sich anstecken.

   Nur die Frau im Schutzanzug blieb stehen. Sie nahm das Hütchen von der Nadel, die sie bereits auf die Kanüle gesteckt hatte, und tauchte sie hinunter ins Blut. Mit beiden Händen die Spritze ruhig haltend, zog sie mit dem Daumen der Rechten den Stöpsel zurück, bis sie sich vollgefüllt hatte. Dann setzte sie das sterile Hütchen auf die Nadel zurück, damit die Blutprobe keimfrei blieb – soweit das unter diesen Umständen überhaupt möglich war – und nicht auslaufen konnte.

   Währenddessen stand Handschin noch immer würgend ans Hühnerhaus gelehnt und konnte nicht fassen, was seine Frau soeben getan hatte.

 

Die Hände in die Seiten gestützt, wagte sich Lichtsteiner einen Schritt nach vorn. „Und jetzt brauchen wir noch eine Blutprobe von Ihnen“, erinnerte er in befehlsgewohnter Tonlage.

   Rebekka war zu geschafft, um den Kopf zu heben. Von unten herauf schielte sie ihn durch ihren Tränenschleier hindurch mit einer Mischung aus Wut und Verzweiflung an. Es sah beinahe so aus, als würde sie nachgiebig und aufgeben. Oder in Ohnmacht fallen.

   Rasch stiess sich Christopher vom Hühnerhaus ab, um Rebekka notfalls aufzufangen. Das Schlachtfeld versuchte er dabei geflissentlich zu ignorieren.

   Aber denkste!

   Die Plastikschüssel in die Seite gestemmt, stellte Rebekka sich straffend klar: „Sie können mir den Schlauch und die Spritze geben. – Vakuumverpackt, versteht sich! - Ich mache es selbst!“

   Christopher blieb hinter ihr stehen. Verzweifelt schüttelte er den Kopf und kratzte sich den Nacken. Noch nie hatte sich seine Frau so dreist und unmöglich aufgeführt. Noch nie war die Situation aber auch so grotesk und schwierig.

   Markus Lichtsteiner nickte der Frau im Schutzanzug zu.

   Diese drehte sich um und kehrte mit ihrer Spritze voll Hühnerblut zum offenen Wagen zurück. Dort nahm sie einen Filzstift, beschriftete die Probe, um Verwechslungen vorzubeugen mit Name und Datum und steckte sie in ein bereitstehendes, gelochtes Plastikgestell.

   Christopher legte Rebekka von hinten die Arme um sie und drückte sie an sich, ungeachtet der Blutspritzer auf ihrer Kleidung.

   Schwer atmend lehnte sie sich an ihn, erschöpft schloss sie die Augen.

   „Komm, Schatz, du musst dich setzen.“ Er dirigierte sie sanft hinüber zur Bank neben dem Hühnerhaus und drückte sie darauf nieder.

   Rebekka war ihm für seine Fürsorge dankbar. Sie bedachte ihn mit einem warmen Blick, stellte die Plastikschüssel neben sich. Ihre Hände waren mit Blut verschmiert wie die einer Mörderin. Als das fühlte sie sich wahrlich auch. Aber sie war viel zu erschöpft und vor Kopfschmerzen halb wahnsinnig, um sich darüber Gedanken zu machen.

   Die Laborantin im Schutzanzug kehrte mit einem neuen Set von Nadel und Spritze zurück.

   Christopher trat ihr mit ausgestrecktem Arm und fordernder Geste entgegen.

   Sie reichte ihm die steril verpackten Beutel und den Armbinder „Weiss Ihre Frau wirklich, wie das geht? – Ich meine – ein Huhn zu schlachten ist das eine, sich selbst zu stechen…“

   Er seufzte und zuckte die Achseln. „Keine Ahnung. – Aber Sie sind ja in der Nähe und sehen, ob sie’s richtig macht.“ Eigentlich war es ein Versuch, zynisch zu klingen.

   Aber nickend ging sie nicht darauf ein. Sie folgte ihm zum Hühnerhaus, blieb aber in beruhigendem Abstand stehen und beobachtete nur.

   Rebekka bückte sich, griff nach einer Handvoll Schnee und versuchte sich damit das Blut von den Fingern zu wischen. Dann rieb sie die Hände an ihrer Jacke und Hose ab, weil sie keine andere Möglichkeit hatte, sie besser zu reinigen. Mit der Rechten streifte sie Jacke und Pullover über dem Ellbogen hoch und hielt Christopher den linken Arm hin.    

   Dieser umschlang ihn mit dem Stauschlauch, verband die Enden und zurrte sie fest, damit das Blut im Arm gestaut wurde. „Geht’s, Schatz?“ Besorgt blickte er auf Rebekka nieder. „Bist du sicher, dass du das kannst?“

   Wortlos nickte sie.

   Er reichte ihr Spritze und Nadel.

   Rebekka öffnete den sterilen Beutel so, dass sie die Spritze am Stöpsel ergreifen und hinausziehen konnte, dann tat sie dasselbe mit der Nadel. Sie klappte die Plastik- und Papierlaschen auseinander und steckte die Kanüle mit der Nadel zusammen, ohne sie mit den Fingern zu berühren. So blieb die Sterilität der Instrumente gewährleistet, und auch, dass sich keine fremden Keime in die Blutprobe einschleichen konnten. Am Schluss zog sie die Nadel aus dem schützenden Plastikhütchen.

   Rebekka legte den Arm mit dem Ellbogen auf die Seitenlehne der Bank. Die Hand zur Faust geballt, zog sie sie wie beim Krafttraining ein paar Mal zur Schulter hinauf, um mehr Blut in die Ellenbeuge zu pumpen. Dann hielt sie die Faust geschlossen und legte den Unterarm auf die Lehne.

   Die Laborantin streckte Christopher einen feuchten Wattebausch entgegen.

   Fragend wechselte er einen Blick mit seiner bleichen Frau.

   Rebekka schüttelte matt den Kopf. „Keine fremden Sachen.“

   Seufzend reichte er ihn der Frau zurück.

   Diese verzog unwillig kopfschüttelnd den Mund.

   Ängstlich blickte er Rebekka noch einmal prüfend an. „Kannst du das wirklich selbst tun?“, fragte er vor Aufregung heiser.

   Sie schluckte, gab keine Antwort.

   Stattdessen senkte sich die Nadelspitze hinunter auf die weiche Haut und drückte eine kleine Delle in die hervorgetretene Vene.

   Christopher hielt den Atem an. Sein Herz klopfte, als müsste man ihm das Blut abnehmen.

   Durch Rebekkas Körper fuhr ein kurzer, heftiger Ruck. Die scharfe Spitze drang durch die Haut. Vorsichtig schob sie die Nadel tiefer in die Vene hinein.

   Die Laborantin reckte ihren langen Hals, um besser sehen und kontrollieren zu können. Doch Rebekka machte es perfekt.

   Sie legte die Spritze auf den Unterarm und löste den Stauschlauch, damit das Blut wieder normal zirkulieren konnte. Dann umfasste sie die Spritze so, dass sie in ihrer Hand lag und die Innenfläche nach oben zeigte. Mit der Daumenkuppe begann sie den Stöpsel aus der Kanüle zu drücken. Ihre Finger und der Daumen wurden weiss, weil es anstrengend war, nur mit einer Hand sowohl die Spritze festzuhalten, als auch gegen den Widerstand des Vakuums anzukommen. Auf ihrer Stirn bildeten sich kleine Schweisstropfen. Rebekka rang nach Atem.

   „Geht’s, Schatz?“, erkundigte sich Christopher. Ihm war vor lauter Sorge und vom Zusehen wieder halb schlecht.

   Rebekka antwortete nicht. Doch der Stöpsel bewegte sich, und durch die Sogwirkung lief hellrotes Blut in die Kanüle hinein.

   „Vollmachen, bitte!“, befahl Lichtsteiner.

   Da die Spritze nicht allzu gross war, dauert es nicht lange.

 

Mit der erkämpften Blutprobe in der Hand kehrte die Frau im Schutzanzug zum Labor-Vergasungswagen zurück.

   Lichtsteiner machte jedoch keine Anstalten, ihr zu folgen.

   Rebekka lehnte sich schwer atmend an ihren Mann. Durch den Höhenunterschied bedingt, glich seine Umarmung eher einem Handauflegen. Seine Hand lag warm auf ihrer rechten Schulter, auf seinem im unteren Teil nackten Unterarm kitzelten ihre Haare.

   Den Kopf zwischen den hängenden Schultern gesenkt, blickte sie den Arzt von unten herauf misstrauisch an.

   Auch Christopher schob das eckige Kinn abwartend vor. Beruhigend drückte er mit der Linken Rebekkas Hand.

   Lichtsteiner druckste ein wenig herum, ehe er herausrückte: „Da wäre noch eine Kleinigkeit…“

   „Was noch?“, erkundigte sich Handschin förmlich.

   „Wir können uns nicht allein auf Ihre Aussage verlassen…“

   Bevor sie etwas einwenden konnte, fügte Wyttenbach erklärend hinzu: „Gestatten Sie uns, dass wir uns vergewissern und das Grundstück absuchen dürfen.“

   „Warum das Grundstück?“ Christopher runzelte die Stirn.

   Wyttenbach zuckte unbehaglich die Schultern: „Falls Sie die toten Vögel in der Erde verscharrt hätten…“

   „Wühlen Sie in unserem Mist, wenn es Ihnen beliebt – solange Sie die Sauerei wieder aufräumen“, lenkte Rebekka erstaunlich friedfertig ein. „Aber wehe, wenn von Ihren Leuten auch nur einer meinem Hühnerhaus zu nahe kommt!“

   Er versuchte ein kleines, in seinen Ansätzen erleichtertes Lächeln. „Wir werden uns hüten, Frau Handschin.“

   „Gut“, nickte sie. „Das hoffe ich für Sie. Denn sonst brenne ich demjenigen eine Ladung Schrot aufs Fell!“

   „Und ich führe Sie über unser Land“, anerbot sich Christopher schnell. „Aber nur Sie! Ich will nicht, dass uns Lichtsteiners Leute das ganze Grundstück niedertrampeln! Wir haben nämlich nirgends einen Kadaver verlocht! – Stimmt’s, Rebekka?“ Er schenkte ihr ein warmes Lächeln.

   „Ich wüsste nicht weshalb! – Wenn wir Hühner töten, dann essen wir sie auch. Dann landen nur noch ihre Knochen auf dem Mist. – Aber bitte“, sie machte mit dem rechten Arm eine weit ausholende Geste, „tun Sie sich keinen Zwang an – ich werde mit der Flinte im Anschlag vom Stubenfenster aus dabei zusehen…“

   Christopher warf ihr einen missbilligenden Blick zu. Was sie tat, war in seinen Augen vorsätzliche Nötigung. Wahrscheinlich könnte Lichtsteiner sie allein schon wegen der Androhung von Gewaltbereitschaft von der Polizei inhaftieren lassen. Andererseits wäre der Zweck der Isolation, eine Weiterverbreitung des Vogelgrippevirus zu verhindern. Irgendwie sah er in der hiesigen Isolation auch eine bessere Absicherung anderer Menschen. Und nicht zuletzt wollte er die letzten Tage zusammen mit seiner geliebten Frau hier daheim verbringen können. Aber eigentlich fiel es ihm selbst schwer, zu glauben, was allen anderen scheinbar so sonnenklar war. Ob ich in meiner Wahrnehmung durch die Verlustangst bereits so getrübt bin, dass ich nicht mehr realistisch denken kann – und will?

   Mit einem Wink des Kopfes gab Markus Lichtsteiner dem Wildhüter das Zeichen zu beginnen.

   Dieser nickte.

   Von Christophers Hand gehalten, beugte sich Rebekka langsam nach vorn, bis sie ihre Stiefelspitzen sehen konnte, dann drückte sie sich unter Zuhilfenahme der Linken in die Höhe und stand vorsichtig auf. „Ich gehe jetzt hinein.“ Mit Kopfschmerzen und leichtem Schwindel versuchte sie sich vorzustellen, ein Glas zuviel getrunken zu haben und sich vor der Polizeikontrolle zusammenreissen zu müssen.

   Christopher blickte sie besorgt an: „Geht’s allein?“

   Tapfer nickte sie über die Schulter zurück und versuchte ein schwaches Lächeln. „Ich komme zurecht. - Geh schon, Schatz.“ Die Fingerspitzen noch immer in seine gehakt, waren ihre ersten Schritte, die sie auseinander brachten, steif und staksig, aber sie liess sich nicht unterkriegen. Entschlossen liess sie los und ging weiter, stellte sich die Linie vor, auf der Betrunkene zum Test gehen müssen… Tatsächlich schaffte sie es fast spielend bis vors Hühnerhaus. Dort beugte sie sich zu ihrem geschlachteten Hahn hinunter.

   Christopher starrte ihr stirnrunzelnd hinterher. „Was machst du?“, fragte er verunsichert, selbst uneins, ob sie dabei war, zusammenzuklappen und seine Hilfe brauchte oder nicht.

   Ihre Antwort, während sie das blutige Tier an den Läufen aufhob, war ausweichend, aber dennoch glasklar: „Ich habe noch zu tun…“

   Ihm klappte die Kinnlade herunter, während er zusah, wie einzelne Blutstropfen aus dem abgetrennten Hals wie in Zeitlupe in den zertretenen Schneematsch tropften und sich durch die Wärme ein tiefrotes Loch hineinfrass. „Du willst…?“

   Sie nickte vorsichtig. „Nachher. - Wenn die Leute abgezogen sind. - Wenn ich es schon schlachten musste, will ich es schliesslich auch essen! – Also - geh schon!“

   Lichtsteiner winkte den anderen Mann und die Frau heran. Jetzt trugen beide einen Schutzanzug mit Atemmaske.

   Im Laufschritt kam der Mann auf sie zu. Er schien erleichtert, dass er endlich doch noch zum Zug kam. Es war der junge Kerl mit den Fliegerstiefeln.

   Seufzend schüttelte Lichtsteiner den Kopf und deutete stattdessen auf die zwei Komposthaufen im Garten.

   „Was?“ Peer Larsen bekam grosse Augen. Seinem Gesichtsausdruck nach zu schliessen war er alles andere als erpicht auf diesen Job.

Lichtsteiner bestätigte wortlos mit einem Nicken.

   Langsamer als zuvor kehrte Larsen zum Bus zurück. Nach der Rückkehr drückte er seiner Kollegin Arbeitshandschuhe und eine zweite Schaufel in die Hände.

   Christopher Handschin sah seiner Frau hinterher, bis sie mit ihrer Trophäe im Haus verschwunden war. Wenig später – nachdem sie das Huhn in der Küche in den Schüttstein gelegt hatte - erschien sie mit dem Luftgewehr hinter dem Stubenfenster. Die Blutschlieren in ihrem Gesicht sahen aus wie die Kriegsbemalung eines Siouxindianers auf Skalpjagd. Erleichtert darüber, dass sie gut hineingekommen war, machte er sich mit Wyttenbach im Schlepptau daran, das Grundstück mit ihm abzugehen.

 

Der Garten war ein von Unkräutern wimmelndes Durcheinander aus verblühten Stängeln von Johanniskraut und grosser Nachtkerze, umringt von im letzten Schneematsch liegenden gelben Taubnesseln, Ehrenpreis, Pfefferminze und Mutterkraut zwischen gramgebeugt niederhängenden langen Himbeerruten, die der schwere Winterschnee niedergedrückt hatte. Die Samenstängel bedeuteten Nahrung für viele Vögel während der harten Kälteperiode, während das matschige Unkraut in den Sommermonaten Rebekka zum Pflücken ihrer Heilkräuter diente.

   Dieser unordentlich überwucherten Ecke war schon auf einen Blick anzusehen, dass hier während der letzten Monate kein einziger Spatenstich angesetzt worden war. Weder in den gepflegten Rabatten auf der Terrasse vor dem Haus, noch an irgend einer anderen Stelle der Umgebung, noch nicht einmal unter dem mannshohen Holunderbusch hinter dem Hühnerhof waren Zeichen einer kürzlichen Buddelei sichtbar.

   Jan Wyttenbachs Frohmut schwand wie Schnee an der Sonne. Nichts, aber auch wirklich nichts, kein einziges Körnchen Erde blieb verdächtig. Es wäre viel einfacher gewesen, wenn er auf seinem Rundgang mit Handschin etwas gefunden hätte, was ihn berechtigen würde, genauso hart durchzugreifen, wie es von ihm verlangt worden war. Die für ihn sichtbaren Tiere im abgezäunten und überdachten Aussenhof sahen gesund und munter aus, mit glänzendem Gefieder und ohne auffällige Mattigkeit, noch nicht mal ein totes Huhn oder eine Ansammlung zu vieler Federn deuteten auf die gefürchtete Limbaragrippe hin.

   Während Handschin mit dem Wildhüter das Gelände rund ums Hühnerhaus abschritt und ihn auch aus nächster Nähe in den eingezäunten Hof blicken liess, begannen sich die beiden anderen murrend und schimpfend mit dem Kompost zu beschäftigen, wo sie zuerst den langen Metallstift rausziehen und dann die Gitter entfernen mussten, bevor sie überhaupt an den „wohlriechenden“ Inhalt herankamen. Mit wütend stampfenden Schritten marschierte Lichtsteiner zurück zu seinem weissen Laborbus.

   Er war frustriert und erregt. Noch niemals zuvor war er an seiner Pflichtausübung dermassen gehindert worden wie von dieser Furie von einer Frau. Zugegebenermassen war aber auch die Situation eine, in der er sich noch nie zuvor befunden hatte. Er hielt es deshalb für angebracht, sich abzusichern und die Situation mit seinem Chef zu besprechen.

   Es dauerte eine Weile, bis Björn Svendal persönlich den Hörer seines Telefons abhob: „Was gibt’s?“, schnauzte er kurz angebunden.

   „Entschuldigung, Sir. Aber ich weiss nicht, was ich tun soll…“, jammerte Lichtsteiner, dem das zuzugeben äusserst peinlich war. „Diese Frau weigert sich, sich in Spitalpflege zu begeben und ihre Hühner töten zu lassen!“

   Sekundenlang herrschte am anderen Ende der Leitung absolute Stille. Svendal war einen Augenblick perplex. Mit einer solchen Meldung hatte er nicht gerechnet, und er musste sich zuerst überlegen, wie er in dieser veränderten Situation vorgehen sollte. „Ist die Diagnose schon gesichert?“, erkundigte er sich dann.

   Lichtsteiner zuckte hilflos die Achseln und schüttelte den Kopf, als hätte er einen Irren vor sich. Was für eine dämliche Frage! „Natürlich nicht, Sir. – Wir haben gerade erst die Blutproben von ihr und einem Huhn bekommen“, versuchte er zu erläutern.

   „Gibt es tote Tiere auf dem Grundstück?“ Svendals Stimme klang sachlich, aber kalt und desinteressiert. Trotzdem peitschten die Sätze in belgischer Sprache wie Schüsse durch die Telefonleitung.

   Lichtsteiner schüttelte den Kopf. „Wir suchen noch danach. Handschins behaupten, dass es keine gibt.“

   „Dann warten Sie, bis Sie mit Fakten aufwarten können! – Entweder finden Sie tote Tiere – und dann wissen Sie, was zu tun ist. - Oder Sie ziehen sich für den Moment zurück!“

   Die buschigen Augenbrauen verengten sich zu einem irritierten Stirnrunzeln. Das ist ein Vorgehen, das von allen anderen abweicht...? „Was?“ Lichtsteiner wäre es lieber, sich verhört zu haben. „Die Nachbarn – insbesondere Herr Sommer, der uns gerufen hat – dürften sehr aufgebracht sein, wenn wir nicht handeln…“

   „Wir tun nichts, was uns später Probleme bereiten könnte. Klar? – Das ist unser erster Fall in der Schweiz, und ich will, dass hier nichts verbockt wird!“ Die Stimme seines Vorgesetzten dröhnte befehlsgewohnt und entschieden.

   Obwohl er keinesfalls gleicher Meinung war, hatte er keine andere Wahl, als Svendals Vorgaben zu gehorchen. Lichtsteiners Brust entrang sich ein abgrundtiefer, hörbar entrüsteter Seufzer: „Also gut, Sir.“

   „Nageln Sie sie auf ihrem Hof fest und tun Sie, was Sie tun müssen!“ Ohne ein weiteres Wort zu verschwenden, unterbrach Svendal die Verbindung.

   Lichtsteiner klappte sein Handy mit einem wütenden Schnaufen und zusammengebissenen Zähnen zusammen. Er hasste seinen Vorgesetzten und er hasste seinen Job. Und er hasste Rebekka Handschin, die ihn in diese missliche Lage gebracht hatte… Warum soll ausgerechnet bei diesem ersten Fall in der Schweiz nicht ebenso rigoros durchgegriffen werden wie in der Türkei oder Ungarn? - oder wo auch immer sie bisher am Limbaravirus erkrankte Menschen aufgegriffen hatten? Auf keinen von ihnen wurde je so viel Rücksicht genommen wie auf diese hier! Nein, da wurden die nötigen Massnahmen ergriffen und die todgeweihten Menschen abtransportiert und ihr Vieh zu Hunderttausenden geschlachtet. Warum müssen wir ausgerechnet hier in der Schweiz leiser treten? Das ist doch nicht Amerika, wo man als Arzt sowieso schon mit einem Bein im Gefängnis steht! Und dass er trotz seines Widerwillens gehorchen musste, brachte ihn erst recht in Rage. Mit wildem Stapfen machte er sich auf den Weg zurück zum Hühnerhaus, um das sich dort anbahnende Spektakel nicht zu verpassen.

   Dann bleibt nur noch der Komposthaufen, dachte Wildhüter Jan Wyttenbach seufzend, der sich seiner Sache nach erfolgtem Rundgang gar nicht mehr sicher war. Er kratzte sich verlegen an der Stirn, dann fuhr er sich mit gespreizten Fingern kämmend durch sein rotes Haar. Was ist, wenn sich alles doch nur als makabrer Scherz vonseiten der Nachbarn entpuppen sollte? - Aber – das sind doch alte Leute… Er wischte den Gedanken wütend beiseite. Von dieser Generation erschien ihm ein solch böser Streich einfach undenkbar.

   Dann also im Kompost! Dies war die einzige Möglichkeit, ausser dem Hühnerstall selber. „Darf ich einen Blick in den Stall werfen?“, fragte er an Handschin gewandt.

   Dieser warf ihm einen abschätzenden Blick zu. Wie gross ist die Gefahr, auf diese Bitte einzutreten?

   „Keine Angst, wenn ich nichts fedrig Totes darin sehe, werde ich meine Finger von Ihren Tieren lassen“, beruhigte ihn der Wildhüter freundlich.

   Christopher schob die Riegel zurück und öffnete die Holztüre, trat beiseite und liess Wyttenbach einen Blick ins Innere werfen.

 

Rebekka fuhr auf dem Sofa entsetzt in die Höhe. Panik erfasste sie, als sie sah, was Christopher tat und dass er dem Wildhüter die Stallstüre öffnete. In blinder Wut riss sie das Fenster auf und das Luftgewehr in Anschlag. Ihr entsetzter Aufschrei hallte gellend zwischen den Häusern wieder. Ihr Herz hämmerte, als sie mit geschlossenen Augen ohne zu überlegen am Abzugshahn zog.

   Sofort kamen die Hühner aus dem Laufhof angerannt und hüpften durch das Hühnertürchen in der gegenüberliegenden Wand in den Stall hinein, in der Hoffnung auf Futter. Mit Knie und Unterschenkel mussten Handschin und Wyttenbach, der in Sekundenschnelle den Gesundheitszustand der Tiere und die Sauberkeit in Bezug auf erwartete Hühnerleichen erfasst hatte, die gackernden Bewohner davon abhalten, ins Freie in den Schneematsch zu hüpfen, als der Schuss vom Wohnzimmerfenster aus losdonnerte und sich das Projektil in den Stamm des nahen Kirschbaums hineinfrass.

   Die beiden Männer und alle anderen fuhren mit fliegenden Armen erschrocken herum, ihnen und den Leuten vom BLOC fielen vor Sprach- und Fassungslosigkeit die Kinnladen herunter.

   Ein paar der Hühner machten einen Satz und begannen flatternd nervös zu gackern.

   „Himmeldonnerwetter!“, entfuhr es Peer Larsen, Lichtsteiners Nebenmann, etwas verspätet fluchend, dem nicht nur seine vom Komposthaufen angeschweinten Fliegerstiefel zuwider waren.

   „Jesus und Maria!“ Der dicke Arzt bekreuzigte sich rasch, um sich des Schutzes des Allmächtigen zu versichern.

   „Ihre Frau! – Ist sie noch bei Sinnen?!“ Wyttenbach wich mit einem Sprung zur Seite, während Christopher geistesgegenwärtig die Stallstüre zuknallte und verriegelte. Sie waren alle bleich, er eingeschlossen.

   „Tut mir leid, Jan“, murmelte er entschuldigend, „ich glaube, Rebekka fühlt sich durch die ganze Geschichte etwas überfordert.“

   „Überfordert ist ja wohl reichlich untertrieben!“, meckerte Lichtsteiner, der nach der bleiernen Stille nach dem Schuss seine Würde wiedergefunden hatte und wütend auf die beiden Männer zuwalzte.

   „Es hat alles seine Grenzen!“, knurrte Wyttenbach verärgert. „Sie hätte uns treffen und jemanden verletzen können!“

   Handschin nickte verstimmt. „Ich weiss“, gab er zu. „Trotzdem kann ich daran, dass sie sich und ihre Lieblinge verteidigt, nichts Schlimmeres daran sehen…“ Mann, ich glaub’ ja nicht, was ich da sage…!

   „Was Ihre Frau gerade getan hat…“, setzte Wyttenbach an, aber Handschin unterbrach ihn: „Es ist erlaubt, auf einen Fuchs im eigenen Garten zu schiessen, wenn er die Hühner bedroht…“ Damit hatte er Recht, auch wenn sich die Aussage in dieser Form abstrus anhörte, sie waren ja keine Füchse, aber trotzdem natürlich eine potentielle und zugegebenermassen weit grössere Gefahr.

   Wyttenbachs Brust und Schultern hoben sich in einem Akt theatralischen Seufzens. „Ich werde es Ihnen nachsehen“, nickte er mit belegter Zunge. „Für dieses Mal! – Jetzt noch der Kompost…“

   Handschin nickte erleichtert. „Ich danke Ihnen. – Und es tut mir wirklich leid.“

   Wyttenbach nahm es mit einem erneuten Seufzer zur Kenntnis und wandte sich ab. „Leute, wie sieht’s bei euch aus, schon was gefunden?“

   Larsen verbiss sich einen Fluch. „Keine einzige verdammte Feder!“

   „Nur ein paar alte, blank genagte Knochen“, verkündete die Frau verstimmt. „Es wird kaum etwas fürs Labor sein – jedenfalls gibt’s nirgends ein komplettes Skelett.“

   Lichtsteiners Gesicht lief rotblau an, als litte er unter Sauerstoffmangel. Jetzt hatte er ein Riesenproblem und keine Lösung in Sicht. „Verflixt und zugenäht! – Suchen Sie weiter! Irgend etwas muss doch wohl zu finden sein!“

   Christopher Handschin lächelte schmal. „Ich sagte Ihnen doch schon, dass Sie sich umsonst bemühen, Doktor. Hier gibt’s weder tote Hühner noch eine Vogelgrippe. Deshalb dürfte ich Sie wohl jetzt bitten, sich von unserem Hof zu entfernen, nicht wahr?“ Sein Blick war hoffnungsvoll offen und seine eingangs eingeschnürte Kehle wieder frei.

   Doch Lichtsteiner giftelte ihn unfreundlich an: „Das wird sich erst noch zeigen! Wir gehen erst, wenn Larsen und Börk mit ihrer Arbeit fertig sind!“

   „Das sind wir, Chef“, liess sich die als Börk bezeichnete Frau seufzend vernehmen. Sie öffnete das angelaufene Visier des Schutzhelms, wischte sich mit den Fingern über die verschwitzte Stirn und reichte die schmutzige Schaufel an den unglücklich dreinblickenden Larsen hinüber, damit er sie säuberte und wegräumte.

   „Und?“ Das kleine Wort enthielt alle die von Lichtsteiner gehegten Hoffnungen und Wünsche.

   Aber sie schüttelte den Kopf. „Mehr als nichts haben wir nicht gefunden, Chef, nur die paar Knochen, die vermutlich vom letzten Sommer stammen…“

   Lichtsteiner verbiss sich einen Fluch. Nach längerem sichtbarem Ringen mit sich selbst kam er zum Schluss: „Wir ziehen ab!“

   „Gott sei Dank“, entfuhr es Handschin erleichtert. Er warf einen beunruhigten Blick hinüber zum Haus, wo er Rebekkas aufgedunsenes Gesicht noch immer vor dem Fenster unbeweglich vor sich hinstarren sah.

   Der kleine Mann drehte sich missmutig nach ihm um. „Es ist noch nicht vorbei, Handschin! Freuen Sie sich nicht zu früh!“

   Es war eine eindeutige Drohung. Doch Christopher war erstmal nur erleichtert, dass sie endlich abzogen. Er wollte nur endlich möglichst schnell zu seiner Frau und dafür sorgen, dass sie sich entspannte und beruhigte. Er hatte keine Vorstellung davon, was ihn alles noch erwartete...