Die Entscheidung fällt in Alamosa

 

Alamosa: Das 1 000-Seelendorf wird von Rinderbaron Virgil Barran und einer Bande schießwütiger Gesetzloser terrorisiert. Der verzweifelt aufbäumende Widerstand der Bevölkerung wird immer wieder durch die Übermacht der Banditen niedergeschlagen. Der neue Marshall Lorne Green hat’s nicht leicht, ihnen das Handwerk zu legen. Er muss sich nicht nur gegen die Bande, sondern auch gegen den berüchtigten Schläger Roger Johnson durchsetzen und die Frau retten, die er liebt. Es dauert nicht lange, dann schlägt die Stunde der Entscheidung. Und bald schon entbrennt in Alamosa ein Kampf um Leben und Tod.

 

   Jetzt reite ich wieder raus, das sind sich die Kerle ja schon gewöhnt. Wenn ich eine Stunde vor der Zeit noch nicht zurück sein sollte, dann blast alles ab.“

   „Was sollte denn dazwischen kommen?“, erkundigte sich Keep mit gerunzelter Stirn hellhörig.

    Marshall Lorne Green zog die Achseln in die Höhe. „Was weiß ich. Vielleicht liege ich heute Abend mit einer Bleikugel zwischen den Schulterblättern hinter irgendeinem Strauch.“ Er stülpte sich den Stetson aufs Haar und war im Begriff, sich umzuwenden, als er mitten in der Bewegung inne hielt.

   „Da wäre noch was ...“

Blick in: 

Die Entscheidung fällt in Alamosa

Wenige Minuten nach neun stand der Marshall an der Hintertür des Saloons und öffnete. Vor ihm begann ein dunkler Gang. Er zog die Tür hinter sich zu, schob den Riegel vor und riss ein Streichholz an, um etwas sehen zu können. Vorsichtig tastete er sich vorwärts, bis er an eine zweite Tür kam. Hier muss es sein, dachte er. Den Revolver schussbereit in der Faust, blies er die kleine Flamme aus, klopfte kurz und trat dann unaufgefordert ein. Der Raum vor ihm wurde von flackernden Kerzen notdürftig beleuchtet. Die Schatten der Männer und der Möbel zuckten. Die Fenster waren trotz der geschlossenen Läden zusätzlich mit Stoffen verhängt. Vier Männer waren anwesend, die ihn halb erschrocken, und als er den Revolver einsteckte, aufmerksam musterten. Keep Temple war einer von ihnen. Er zog den Marshall weiter in die Mitte des Raumes hinein, während ein anderer leise die Tür zuschob und verriegelte. Anscheinend wurde niemand mehr erwartet. Keep deutete auf jeden einzelnen, während er ihn vorstellte: „Peter Manning, der Bürgermeister der Stadt. Butch Cassidy. Er ritt früher für Barran. Jesus Jefferson, unser Pfarrer.“ Bei der Erwähnung eines ehemaligen Bandenmitglieds zog Green fast unmerklich die linke Augenbraue in die Höhe. Er hakte jedoch nicht nach. Wenn die Bürger der Stadt dem Kerl vertrauten... „N’Abend“, grüßte er salopp und reichte jedem die Hand, bevor er sich setzte. Die anderen folgten seinem Beispiel. „Wo ist Davis?“ „Der hat sich nicht hergetraut“, gab Cassidy Auskunft. Er war in seinem Alter, groß und hager, mit einem schmalen, sympathischen Gesicht. Gekleidet war er wie ein Cowboy. Der Marshall nickte. „Ihr wolltet mich sprechen?“ „Ja. Wir wollen Ihnen helfen, die Stadt vom Ungeziefer zu säubern. Wir haben uns besprochen und wissen, dass Sie es allein nicht schaffen können“, erklärte Butch, der offenbar der Sprecher zu sein schien. Green nickte nachdenklich. „Ich muss zugeben, es ist nicht leicht, die Sache anzupacken. Und es sind verdammt viele. Ohne eure Hilfe werdet ihr mich vielleicht bald auf dem Boothill verscharren können. Habt ihr euch denn schon einen Plan zurechtgelegt?“, erkundigte er sich mit einem Blick in die Runde neugierig. Die Männer schüttelten die Köpfe. „Haben wir nicht. Wir hofften auf Sie und Ihren Rat, Lorne.“ Dieser blickte den Sprecher grinsend an. Er holte Tabak und Papier aus der Hemdbrust und drehte sich in aller Ruhe eine Zigarette. Sie beobachteten ihn stumm und warteten ungeduldig, Butch schob ihm eine Kerze über den Tisch zu. Schließlich hob er den Kopf und sagte, nachdem er sie daran in Brand gesteckt hatte: „Ihr habt doch gewiss irgendwelche Waffen oder Werkzeuge im Haus. Warum habt ihr euch nicht schon früher gegen Barran zur Wehr gesetzt?“ „Das haben wir auch getan, Marshall“, gab Manning ruhig zur Antwort, „aber unsere Revolte endete sehr blutig. Und jetzt haben wir keine Waffen mehr.“ „Barran hat vorausgedacht, und wir mussten sie alle abgeben. Er wollte damit eine weitere Revolution verhindern“, bestätigte Jesus Jefferson, der Pfarrer. „Ein kluger Hund, das muss man ihm lassen!“ Lorne sog nachdenklich an seiner Zigarette. „Scheint so, Keep. - Hatte denn bislang keiner den Mut, die Waffen zurückzuholen?“ „Wie stellen Sie sich das vor?“, fragte dieser mit gerunzelter Stirn entsetzt.

„Das ist nicht so einfach, Marshall“, erklärte Jefferson. Er trug eine schwarze Jacke mit weißem Kragen, ein Kreuz baumelte an einer goldenen Kette um den Hals. „Das Depot wird ständig bewacht, da kommt keiner ran! Und von auswärts können wir uns auch nichts beschaffen! Alles, was nach Alamosa reinkommt, wird kontrolliert! Es ist unmöglich, etwas rein zu schmuggeln!“ Seine Stimme klang beinahe kläglich. Lorne warf ihm einen schnellen Blick zu, ehe er mit seinen Fragen fortfuhr: „Habt ihr es denn überhaupt versucht?“ Der Pfarrer nickte. Er machte die entsprechende Geste des Halsaufschlitzens dazu, als er sagte: „Ein paar haben es versucht, aber dann... kkk!“ „Die haben nicht lange mit ihnen gefackelt. Bis es die Leute endlich kapierten, mussten wir eine Woche lang jeden Tag einen oder zwei beerdigen.“ Green legte die Stirn in Falten und sog beharrlich an seinem Stängel. „Auf welche Weise wollten sie es denn machen?“, versuchte er herauszufinden. „Mit Pferd und Wagen“, erklärte Manning. „Und die Waffen waren im Wagen?“ „Wo sonst?“, nickte er. „Sie waren gut versteckt - dachten die Leute zumindest, aber leider...“ Cassidy stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus. Einen Moment lang war es beklemmend still und keiner sagte etwas. Jeder hing seinen eigenen, düsteren Gedanken nach und wartete darauf, dass sich Green äußerte. „Die Nuss ist kaum zu knacken, was?“, bemerkte Keep nach einer Weile seufzend.

   Fast zu ihrer Erleichterung, hellte sich Greens Miene nach einer Weile wieder auf. Mit einem leichten Grinsen bemerkte er vielsagend: „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.“ Jefferson nickte erfreut. „Glauben Sie an Gott junger Mann?“ Dieser nickte, ohne weiter darauf einzugehen. „Wo ist das Depot, Pfarrer?“ „Ich zeig’s Ihnen, Marshall“, anerbot sich Butch Cassidy. „Okay. Ich lasse mir die Sache durch den Kopf gehen. Ihr hört von mir.“ Er hob grüßend die Hand, erhob sich und verließ den Raum auf demselben Weg, den er gekommen war. Der lange Cassidy folgte ihm auf den Fersen. Draußen im Hof drehte er sich nach ihm um, um ihn vorangehen zu lassen. „Sie haben eine Idee, Marshall, stimmt’s?“, fragte er. Lorne blickte sich nach Lauschern um, ehe er unbestimmt antwortete: „Kann sein.“ Cassidy war einer von Barrans Männern! Inwieweit konnte man ihm über den Weg trauen? Er selbst tat es nicht, deshalb behielt er seine Gedanken für sich. Eine Idee hatte er schon, jetzt brauchte er nur noch einen Plan, wie sie umzusetzen war. „Gehen wir!“ Cassidy warf ihm einen schnellen Blick zu, ehe er voranging. Greens Misstrauen war beinahe körperlich spürbar, doch er widerlegte es nicht. Es war besser, wenn er von jemand anderem aufgeklärt wurde. Wortlos huschten die beiden durch die Nacht, bis Butch stehen blieb und drängend flüsterte: „Runter, Green, wir sind gleich da!“ Dieser gehorchte. Behutsam arbeiteten sie sich hinter dem Mietstall heran. Sie hörten ein paar Pferde schnauben, Gebissketten klirrten und schwere Hinterteile stießen gegen Boxenwände. Vor ihnen stand ein Schuppen mit einem großen Flügeltor. An ihn grenzten die Koppeln des Mietstalls an. Zwei Banditen mit tiefgeschnallten Revolvern und Gewehren in den Händen standen im Schein des Mondes vor dem Tor Wache, beobachteten die Gegend und rauchten. Sie verrichteten ihren Job schweigend, damit ihnen kein verdächtiges Geräusch entging. „Hier ist es, Green“, flüsterte Butch. „Wie geht’s nun weiter?“ „Das wollen wir uns in aller Ruhe überlegen, Cassidy. Gehen wir zurück. Heute hat es sowieso keinen Zweck mehr, etwas zu versuchen.“ „Okay.“ Lautlos schoben sich die beiden Männer zurück, ohne bemerkt zu werden. Vor dem Saloon trennten sie sich und wünschten sich eine gute Nacht.

 

Diesmal schlief Green in einem Hotelzimmer, das ihm Keep Temple zur Verfügung stellte. Die Nacht verlief ruhig und ohne Störung, trotzdem behielt er die langläufigen Colts in Griffnähe.

   Am nächsten Morgen hatte er einen genauen Plan, wie er vorgehen wollte. Doch zuerst musste er die anderen informieren und die Nacht abwarten. Und mit jemandem über Cassidy sprechen. Es war ihm nicht wohl bei dem Gedanken, den Mann in seinen Reihen zu haben. Es ging ihm nicht auf, wie ein ehemaliges Bandenmitglied zum Feind überlaufen konnte und von den Banditen ungeschoren blieb, ohne Dreck am Stecken zu haben und zum Spitzeln abgeordert zu sein! Sein Plan basierte nur auf dem Überraschungsmoment, das es auszunützen galt. Wenn Cassidy wie befürchtet spitzelte, gäbe es ein fürchterliches Fiasko! Bereits schon mit der Detailarbeit beschäftigt, wog er noch ein paar Ideen miteinander ab. Mae könnte sich vielleicht mit einem der Wachtposten anbiedern und sie so ablenken...

   Er zog Keep beiseite und flüsterte ihm zu: „Wieviele Einwohner haben wir auf unserer Seite?“ Dieser warf einen hastigen Blick in die Runde, ehe er antwortete: „Alle, Marshall. Die Leute sind froh, dass Sie hier sind, aber sie haben Angst. Es ist nur eine Handvoll Männer, die sich unter Ihrem Kommando in den Kampf traut.“ „Immerhin.“ Er nickte zufrieden. Wenige waren besser als keiner. „Sie sollen sich bereithalten. Wenn nichts dazwischen kommt, steigt der Plan heute Nacht, aber wir müssen die Dunkelheit abwarten. Gibt es einen sicheren Ort für die Frauen und Kinder dieser Männer, damit niemandem etwas zustößt?“ Er wollte keine dieser Familien ohne Beschützer in der Stadt haben, weil der Gedanke nahe lag, dass Barran die Zurückgebliebenen als Geiseln gegen sie einsetzen würde. Zwar konnte er das auch mit dem Rest der Bevölkerung tun, sofern es ihm in den Sinn kam, doch Green hoffte, dass es nicht soweit kommen würde. Keep nickte: „In der Kirche.“ „Zu unsicher.“ „Dann in den Bergen. Im Steinbruch stehen ein paar alte Hütten.“ „Dann sollen sie sich dorthin zurückziehen, sobald wir uns die Waffen holen“, bestimmte Lorne. „In Ordnung. Und wie sieht Ihr Plan aus?“ „Das werdet ihr heute Abend erfahren. Ich erwarte euch nach Sonnenuntergang im Hinterzimmer, um euch die Instruktionen zu geben. Im Anschluß daran werden die Frauen evakuiert. Wir dürfen kein Aufsehen erregen. Jetzt reite ich wieder raus, das sind sich die Kerle ja schon gewöhnt. Wenn ich eine Stunde vor der Zeit noch nicht zurück sein sollte, dann blast alles ab.“ „Was sollte denn dazwischen kommen?“, erkundigte sich Keep mit gerunzelter Stirn hellhörig. Green zog die Achseln in die Höhe. „Was weiß ich. Vielleicht liege ich heute Abend mit einer Bleikugel zwischen den Schulterblättern hinter irgend einem Strauch.“ Er stülpte sich den Stetson aufs Haar und war im Begriff, sich umzuwenden, als er mitten in der Bewegung inne hielt. „Da wäre noch was...“ Keep sah ihn fragend an. „Wie bringe ich Cassidy und euch unter einen Hut? Irgendwie schnall’ ich’s nicht, dass ihr ihn bei euch mitmachen lasst.“ Der Wirt zog seine Lippen zu einem breiten Lächeln auseinander. „Eine längere Geschichte, Lorne. Aber Sie können ihm vertrauen. Cass ist in Ordnung, keine Angst.“ „Wenn Sie es sagen“, nickte er ernst, wandte sich um und ging hinaus.

   In dem Moment bog Mae um die Ecke des Vorratsraums. Gebannt sah sie Green hinterher. Keep bedachte seine Tochter mit einem traurigen Blick. Er hatte schon immer gewusst, dass sie sich irgendwann durch ihren Hang zum starken Geschlecht ins Unglück stürzen würde, und nun sah sie ganz in Green verschossen aus. Aber den schätzte er nicht so ein, dass er mit Mae Ernsthafteres als das Begonnene anfangen würde. „Was hat er vor, Paps?“, erkundigte sie sich. Er blickte sie nur schweigend an. In seinen Augen las sie die Warnung, doch Mae ließ sich den Überschwang ihrer Gefühle durch ihn nicht verdrießen. Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte sie den Kopf wieder zur Tür und lächelte versonnen hinter Green her, obwohl der längst über alle Berge war.

 

Wie am Vortag ritt er wieder hinaus. Ihn hielt nichts in der Stadt, wo er doch nichts tun konnte. Bis zum späten Nachmittag streifte er durchs Land, dann entdeckte er auf einmal etwas, das seine Aufmerksamkeit erregte. Er beschattete die Augen unter der Hutkrempe zusätzlich mit der Hand, um dieses Etwas besser sehen zu können. Nach einer Weile entpuppte es sich als Staubwolke in der Ferne, deren Ursprung er ergründen wollte. Er gab dem Hengst die Sporen und galoppierte darauf zu.

   Im Näherreiten entpuppte sie sich als eine Herde brüllender Rinder, die von einem einzelnen Reiter angetrieben wurde. Hastig dirigierte er den Hengst hinter ein Gebüsch und schwang sich aus dem Sattel, um sich kleiner zu machen. Die Herde zog so dicht an ihm vorbei, dass er das Brandzeichen an den Flanken der Tiere deutlich erkennen konnte; es war ein verschnörkeltes B über zwei Schwingen. Barran!, durchzuckte der Gedanke an den windigen Saloonbesitzer sein Hirn. Ja, das musste Barrans Brandzeichen sein. Obwohl er nicht länger darüber nachdachte, kam für ihn keine andere Möglichkeit infrage. Er war in den letzten Tagen an mehreren Ranches vorübergeritten, die dasselbe Zeichen über dem Tor trugen. Dass Barran im ganzen Tal verstreut unzusammenhängende, einzelne Grundstücke besaß, fand er äußerst merkwürdig. Entsprechend gehörten ihm unermesslich viele Rinder. Von denen wohl wieviele gestohlen und umgebrannt worden sind?, fragte er sich. Barran schien nahezu der einzige Ranchbesitzer im ganzen Tal zu sein, obwohl andere Farmen bestanden.

   Schlagartig wurden seine Gedanken abgelenkt, als er feststellte, dass der Indianer die Herde nicht auf die nächste Ranch zu, sondern von ihr fort in die Hügel trieb! Ein Rinderdieb!, war sein nächster Gedanke, bevor er handelte. Er sprang in den Sattel, presste dem Hengst die Fersen in die Flanken und trieb ihn mit einem heiseren Aufschrei hinter dem Gebüsch hervor.

   Der Reiter auf dem gescheckten Pferd warf sich herum. Er sah den Stern auf Greens Brust glitzern und hieb dem Pinto die Faust zwischen die Ohren. Tief duckte er sich auf den Pferdehals, um ein möglichst kleines Ziel zum Anvisieren und Schießen zu bieten und dem Pferd durch die Verlagerung des Schwerpunkts mehr Bewegungsfreiheit zu ermöglichen. Doch Lorne schoss nicht. Er wollte den Mann lebend haben! Pacer ließ die Herde sausen und wandte sich zur Flucht, doch er merkte bald, dass sein Pinto gegen den kräftigen Hengst nicht ankam. Er wollte ihn nicht zuschanden reiten, um das Wettrennen dann doch zu verlieren. Er parierte das Pferd und wandte sich dem Marshall entgegen. Dieser zog die Zügel an und brachte den Sandfarbenen vor ihm zum Stehen. „Hey, Marshall.“ Pacer grinste schief. Green musterte den jungen Mann mit wachsamem Blick. Sein Kinn reckte sich vor, als er den Gruß erwiderte: „Hey, amigo. Du bist in die falsche Richtung unterwegs! Wohin willst du denn mit Barrans Rindern?“ „Barrans Rinder?“, spuckte das Halbblut zynisch mit einem trockenen Lachen aus. „Die Rinder sind nicht sein Eigentum, Marshall, auch wenn sein Brand drauf steht! Er hat sie sich widerrechtlich genommen, wie alles andere unten in der Stadt! Ich hole uns nur unser Eigentum zurück! - Das heißt, ich wollte, bevor Sie hier ankamen!“ „Tut mir leid, wenn ich zu ungünstiger Zeit erscheine.“ Lorne grinste etwas linkisch, während er sich erinnerte, dass Davis ähnliche Worte verwendet hatte. „Ein eigenartiger Ausdruck für Diebesgut“, murmelte er sinnierend und fixierte den jungen Mann vor sich. Dieser war unzweifelhaft ein Mestize. Das schmale, hochwangige Gesicht mit den schmalen Lippen und tiefdunklen Augen wurde von dichtem, bläulichschwarzem Haar umrahmt, das ihm bis auf die Schultern fiel. Gekleidet war er wie ein Cowboy mit Chaps und hochschäftigen Stiefeln und einem Lederwams mit Fransen. „Nennen Sie es, wie Sie wollen!“, fauchte Pacer mit finsterer Miene zurück. „Tatsache ist, dass Barran das Vieh unrechtmäßig erworben und die Farmer aus dem Tal vertrieben hat!“ „Trotzdem berechtigt es dich nicht, die Rinder zu stehlen!“ Entnervt hob er die Hände und stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus. „Hören Sie, Marshall, ich will das Vieh nicht verkaufen! Aber von irgendetwas müssen wir doch leben!“ Dieser horchte diesmal überrascht auf. Wieso sprach der Junge ständig in der Mehrzahl? „Wir?“ Er zog eine Augenbraue in die Höhe, sah ihn aufmerksam an und wiederholte: „Wer ist wir?“

   Pacer ging darüber hinweg, als hätte er die Frage nicht verstanden. Stattdessen grinste er ihn an und sagte: „Ich mache Ihnen einen Vorschlag, Marshall: Kämpfen Sie mit mir. Wenn ich gewinne, bin ich frei, gewinnen Sie, gehe ich mit Ihnen. Das Angebot ist fair. Was halten Sie davon?“ Scheinbar hatte er von seinem Kampf mit dem Schläger Roger Johnson nichts mitbekommen, dass er so überzeugt war, gegen ihn gewinnen zu können! Lorne schmunzelte beim Gedanken, wie voreingenommen der Junge von sich war. „Und mit welchen Waffen wollen wir kämpfen?“, fragte er. Pacer hob die geballten Fäuste und schüttelte den Kopf. „Damit. Ich will gewinnen, nicht töten!“ Er grinste anerkennend. „Deine Sprache gefällt mir, amigo.“ Der Indianer war ihm, obwohl er ein Dieb war, auf Anhieb sympathisch. Er schwang das Bein über Amigos Widerrist und glitt aus dem Sattel. Pacer folgte seinem Beispiel. Mit hängenden Zügeln ließen sie die Tiere stehen.  

   Etwas abseits von den Pferden standen sie sich gegenüber. Pacer war für einen Indianer ungewöhnlich groß. Er war nur wenige Zentimeter kleiner als Green, sein brauner Körper gestählt und hart. Sie belauerten sich gegenseitig, standen breitbeinig und mit leicht vornüber gebeugtem Oberkörper da. Sie umkreisten sich lange, und keiner wollte zuerst angreifen. „Warum fangen Sie nicht an, Marshall? Haben Sie Angst?“, versuchte ihn Pacer zu provozieren, doch Green ging nicht darauf ein. Er wusste genau, dass der Gegner seinen Angriff sofort abblocken würde. Stattdessen gab er sich selbst eine Blöße, indem er absichtlich über eine unsichtbare Unebenheit stolperte. Pacer durchschaute den Trick nicht. Mit einem gewaltigen Panthersprung warf er sich dem Marshall entgegen, und obwohl dieser geschickt auswich, traf ihn doch ein trocken geführter Kinnhaken am Wangenknochen und riss die Haut auf. Seine Rechte schoss vor, wurde aber vom Unterarm des Gegners abgeblockt, der seinerseits einen Treffer in Greens Magen landete. Lorne klappte zusammen wie ein Taschenmesser und rang nach Luft. Als sich Pacer auf ihn warf, gingen sie beide zu Boden. Green stürzte rücklings in den Staub. Sofort rollte er sich auf die Seite und kam wieder auf die Füße. Schweiß perlte auf seinem Gesicht und reizte die Bindehäute seiner Augen.

   Pacer griff wieder an, doch diesmal war Green darauf vorbereitet. Er fing die geballte Rechte mit einer blitzartigen Bewegung aus der Schulter auf, packte das Handgelenk mit festem Griff und knallte seine Linke in Pacers Gesicht. Dieser taumelte rückwärts und fiel. Lorne setzte sofort nach. Er warf sich auf ihn, ehe dieser die Füße hochreißen und seine Stiefel einsetzen konnte, die zu jener Zeit eine gefürchtete Waffe im Nahkampf waren. Eiserne Fäuste hagelten auf den Leib des Mestizen nieder. Dessen Finger krallten sich in Greens Oberarmen fest. Er spürte, wie der Junge sich sammelte und seine Muskeln sich verhärteten, bevor er ihn mit einer ungeheuren Kraftanstrengung von sich stieß. Schnell wie eine Klapperschlangeschnellte er mit ihm in die Höhe, warf sich auf ihn und legte ihn auf den Rücken. Er setzte Green die Knie auf die Arme, ehe dieser auch nur richtig denken konnte.

   Pacer saß wie eine Kröte auf seiner Brust. „Haben Sie genug, Marshall?“, fragte er ohne Spott. Seine dunklen Augen musterten das verzerrte verschmierte Gesicht vor sich. Green nickte keuchend: „Das reicht, amigo, du bist frei.“ Der Junge ließ grinsend von ihm ab und erhob sich, griff nach seinem Hut, klopfte den Staub an der Hose ab und reichte dem Sternträger die Hand, um ihm hoch zu helfen. „Entschuldigen Sie, Marshall, wenn ich Sie zuerst für einen von Barrans Banditen hielt.“ „Du schmeichelst mir!“, entgegnete er lakonisch, während er zupackte und schwankend auf die Füße kam. Pacer zuckte gleichgültig die Achseln: „Tut mir leid, ich bin auf die Kerle nicht besonders gut zu sprechen.“ Green tat es nickend mit einer lockeren Handbewegung ab: „Kann ich verstehen.“ Der Junge wandte sich ab und ging hinüber zu seinem Pferd. Er schien kein Interesse daran zu haben, sich länger mit ihm abzugeben. Lorne hingegen hätte zu gern gewusst, was er mit diesem Wir gemeint hatte.

   Als das Gespräch versandete, fuhr er rasch fort: „Du kämpfst gut, amigo. Ich könnte dich brauchen.“ Pacer drehte sich um und nickte. In seinen Augen flackerte es, aber vielleicht war es auch lediglich der Widerschein des Sonnenlichts. „Wenn Sie sich mit Barran anlegen wollen, stehe ich Ihnen zur Verfügung, Marshall. - Werden Sie es tun?“ Er nickte zustimmend und bückte sich nach seinem Hut. „Das habe ich vor.“ „Dann kommen Sie, Marshall. Ich habe eine Überraschung für Sie.“ „Und die Rinder?“ Lorne drehte sich nach den Tieren um, um zu sehen, wohin sie gerannt waren. Pacer winkte gleichgültig ab. „Das hat Zeit. Die hole ich mir später.“ Er nickte und schwieg. Eigentlich müsste er den Jungen wegen Viehdiebstahls verhaften, aber es widerstrebte ihm, weil er Barran, das musste er sich selbst eingestehen, überhaupt nicht leiden mochte. Und wenn die Erzählungen stimmten, dann würde er als Gesetzesvertreter bestimmt nicht noch die Enteignung der Farmer unterstützen! Trotzdem sah er sich zu sagen genötigt: „Du weißt aber, dass Viehdiebe gehängt werden.“ Pacer nickte mit einem vielsagenden Grinsen: „Wenn sie erwischt werden.“ „Dann hattest du bisher verdammtes Glück!“ Großspurig zuckte er die Achseln, nahm die Zügel kurz und schwang sich auf den Rücken seines Pintos: „Barran weiß vor lauter Rinder gar nicht, wieviele er wirklich hat. Und seine Banditen sind zu dämlich, um zählen zu können!“ Green griff nach den langen Zügeln. Die Hände am Sattelhorn, stieg er gemächlich in den Steigbügel. „Werden die Herden denn nicht bewacht?“ Pacer schüttelte den Kopf. „Nicht wirklich. Denen sind Alkohol und Weiber viel wichtiger. Außer-dem gibt es Indianer hier...“ Er ließ den Satz gedankenschwer in der Luft hängen. Green warf ihm einen betretenen Blick zu. „Ich bin noch keinem begegnet.“ „Ich bin einer von ihnen“, erinnerte ihn Pacer mit einem spöttischen Lachen. Er warf seinen Schecken herum und trieb ihn zu einem scharfen Galopp an. Green schwang sich in den Sattel und schnalzte mit der Zunge. Fast aus dem Stand preschte der Sandfarbene hinter dem Pinto her und setzte sich an seine Seite. Er musterte das scharfe Profil des jungen Mannes, der schweigend geradeaus blickte. „Wohin bringst du mich, amigo?“ „Sie werden es sehen, Marshall“, erwiderte Pacer mit einem kleinen Grinsen und machte klar, dass er nicht mehr verraten würde.

   Sie ritten tiefer in die Hügel hinein und entfernten sich immer mehr von der Stadt. Die Dunkelheit fiel bereits über das Land herein, als sie endlich ihr Ziel erreichten. Die Gegend war steinig und kahl, Bäume gab es prak-tisch keine mehr, nur noch verkrüppelte Skelette, Sträucher und verdorrte Stauden. Stimmen wurden laut, die der Nachtwind an Greens Ohren herantrug. Er wurde unruhig und übervorsichtig, Pacer jedoch ritt gleichgültig weiter. Sie umgingen ein großes Bollwerk aus Geröll, Ästen und Zweigen und gelangten in ein kleines Tal, in dem ein paar Pferde grasten. Lorne fragte nicht, wem die Tiere gehörten, obwohl es ihn brennend interessiert hätte; er ging davon aus, dass ihm das Halbblut nicht antworten würde. Im Canyon glitt Pacer von seinem Pinto und sattelte ab. Mit verständnislosem Stirnrunzeln folgte Green schweigend seinem Beispiel. Danach ließen sie die Pferde stehen und gingen zu Fuß weiter ins Tal hinein, bogen an dessen Ausgang rechts ab und hatten eine kleine, geschützte Hochebene vor sich.

   Und dann sah Green endlich, was ihm Pacer hatte zeigen wollen: Da waren Frauen, Männer und Kinder, in Decken gehüllt oder in warmen Jacken. Die Kinnlade sackte ihm herab. Das müssen über dreißig sein!, dachte er verblüfft vor Betroffenheit. Was machen all die Leute hier?

   Er erstarrte mitten in der Bewegung und verkrampfte sich, als ihm ein harter, kalter Gegenstand zwischen die Schulterblätter gedrückt wurde. Ein Gewehrlauf, verdammt! Was sollte er tun? Hatte ihn Pacer in eine Falle gelockt? „Keine Bewegung, Freundchen!“, drohte eine tiefe Stimme hinter ihm. „Er ist ein Freund, Ed. Lass ihn in Ruhe!“, knurrte Pacer und zog Green am Ärmel weiter. Mit einem Seufzer versuchte er sich zu entspannen, was angesichts der grotesken Situation ziemlich schwierig war. Ed Taylor folgte ihnen hinterher zum Lagerfeuer, dessen züngelnde Flammen zuckende rötliche Schatten an die Felsen hinter den Leuten warfen. Dabei ließ er den Marshall trotz Pacers Entwarnung keinen Moment aus den Augen und hielt die Waffe schussbereit mit beiden Händen.

   „Halt, wer ist da?“ In der Dunkelheit waren die Ankömmlinge nur schlecht auszumachen. Einer der stattlichsten und größten Männer am Feuer richtete sein Gewehr auf sie und sprang auf. Durch seinen tiefen Barriton klang die Frage drohender, als sie gestellt war. „Besuch aus der Stadt!“, knurrte Ed Taylor mürrisch. Pacer nickte. „Ein Freund.“

   Paul Callaghan entspannte sich, als das Feuer ihre Gesichter erhellte und er den Jungen erkannte. Er setzte sich und legte die Winchester neben sich. Vor dem Kreis der Lagernden blieben die beiden stehen. Hinter ihnen hielt Taylor weiterhin seine Waffe auf Green gerichtet. „Das ist der neue Marshall von Alamosa“, stellte Pacer vor und setzte sich zu ihnen. „Hey.“ Lorne grüßte etwas linkisch mit verzerrtem Grinsen, bevor er sich ungefragt neben ihm niederließ. „Warum bringst du ihn her?“, rügte ihn Callaghan scharf, doch das machte auf Pacer keinen Eindruck. Schulterzuckend entgegnete er: „Ich habe euch doch gesagt, er ist ein Freund. - Wir haben uns geprügelt und er hat mich laufen lassen“, relativierte er, bevor er fortfuhr: „Er soll uns helfen, Barran das Handwerk zu legen.“ Green lächelte schmal. „Besser gesagt, ihr sollt mir helfen, meinen Job zu erledigen.“ Sein Grinsen war herausfordernd, mit dem er die Fremden betrachtete, die ihn ebenfalls unverhohlen, teilweise interessiert, andere stirnrunzelnd oder gar abweisend musterten. „Ich schätze, ihr habt mir einiges zu erzählen, Leute“, fuhr er fort. „Was macht ihr mit euren Familien hier draußen in dieser gottverlassenen Wildnis?“

   Paul Callaghan nickte. „Das stimmt. Wie Sie sich denken können, waren wir bis vor wenigen Monaten die Herren hier im Tal. Wir bewirtschafteten das Land und arbeiteten in Alamosa, bis Barrans Banditen auftauchten. Von da an wurde aus dem freundlichen Mister Barran eine blutrünstige, habgierige Bestie! Er ließ unser Vieh von den Weiden treiben, stoppte die Wasserzufuhr zu den Farmen und hungerte uns aus. Er nahm uns unsere Existenz. Wer sich wehrte, wurde gefoltert oder getötet! - Nehmen Sie zum Beispiel Dorothy Bailey. Ihr Mann wurde auf offener Straße erschossen! Wie ihr erging es vielen von uns; die meisten haben jemanden zu beklagen!“ „Tut mir leid.“ Lorne nickte bedächtig und musterte die Frau, auf die Callaghan gedeutet hatte. Sie war nicht eigentlich hübsch, aber eine interessante Erscheinung. Im Widerschein des Feuers glänzte ihr Haar kupferrot, aber bei genauerem Hinsehen hatte es eher die Farbe von überreifen Kastanien. Das schmale Gesicht mit den großen, grünen Augen war weiß wie Porzellan. Sie sah sehr zerbrechlich aus, aber das war sie nicht. Dorothea Bailey konnte hart zupacken, wenn es die Situation erforderte.

   „Und was tut ihr hier in der Wildnis?“, wiederholte er seine Frage. „Wir versuchen zu überleben, Marshall“, erwiderte sie ruhig und blickte ihn aus ihren unergründlichen Augen an. „Warum seid ihr nicht in eine andere Stadt gezogen?“ „Wir sind hier geboren, Marshall. Dies ist unser Land!“ Er fühlte sich wie ein Volltrottel. „Aber warum geht ihr dann nicht gegen Barrans Männer vor? Ihr könnt euch doch nicht ewig hier verstecken? Was wird aus euch im Winter?“ „Soweit denken wir noch nicht.“ „Das würden wir gern tun, wenn wir nicht Frauen und Kinder bei uns hätten! Außerdem sind wir zuwenige, die überhaupt eine Waffe besitzen!“, erklärte ihm Callaghan. Lorne überlegte nicht lange: „Dem ist abzuhelfen. Die Leute in der Stadt sind entschlossen, eine Revolution zu wagen. Wir wollen uns die Waffen aus dem Depot holen. Seid ihr bereit, euch uns anzuschließen?“ Er blickte sich um und sah in ernste, finstere Gesichter. Die Leute zögerten, weil sie nicht wussten, was sie von seiner Idee und von ihm selbst halten sollten. Es war offensichtlich, dass die wenigsten ihm trauten. Ganz unerwartet erhob sich Dorothea Bailey mit dem Gewehr in der Hand. Für alle deutlich vernehmbar, erklärte sie: „Ich bin dabei, Marshall, auf mich können Sie zählen!“ Verwundert sah er ihr nach, als sie den Kreis verließ und in der Dunkelheit verschwand. Pacer stieß ihn mit dem Ellbogen an und flüsterte: „Sie ist wundervoll, nicht? Sie werden sehen, jetzt helfen Ihnen alle!“ „Das hoffe ich.“ Er nickte und wartete darauf, dass sich jemand zu Wort meldete. Er beobachtete, wie Callaghan jeden einzelnen musterte und sein Blick auf ihm ruhte, bis der Mann nickte oder verneinte. Zu seiner Erleichterung wollten sich nur wenige aus dem Kampf heraushalten. Die meisten von ihnen waren zu alt oder Frauen mit Kindern. Schließlich wandte sich Callaghan Green wieder zu und erklärte feierlich: „Wir sind bereit, Marshall. Wann soll’s losgehen?“ Dieser nickte erfreut. Jede Person mehr, die mit ihm ritt, konnte für Sieg oder Untergang entscheidend sein. Er sah, wie begierig die Leute darauf waren, sich in den Kampf zu werfen und Barran endlich den Meister zu zeigen, doch zunächst hatte er eine Enttäuschung für sie, weil sie sich weiterhin in Geduld üben mussten: „Für heute ist es bereits schon wieder zu spät. Vielleicht morgen Abend“, sagte er, bevor er erklärend fortfuhr: „aber ich gebe euch noch Bescheid. Ich treffe Mannings Leute nach Einbruch der Dunkelheit im Hinterzimmer des Saloons, dann holen wir uns die Waffen.“ „Und was sollen wir tun?“, fragte Pacer aufgeregt. Lorne wandte ihm kurz das Gesicht zu. „Ihr gebt uns Feuerschutz für den Fall, dass wir nach dem Dreh verfolgt werden.“ „Okay.“ Callaghan nickte, doch die Vorfreude auf den Gesichtern erlosch. Auf einigen Mienen malte sich bereits Enttäuschung, weil sie nicht für mehr gebraucht wurden. „Und wie sieht Ihr Plan für die Befreiung der Stadt aus?“ Green warf ihm schweigend einen ernsten Blick zu, der die Leute grübelnd zurückließ: „Das erkläre ich euch, wenn wir die Waffen haben.“ Sie wussten alle, dass dies die erste und wichtigste Hürde war, die genommen werden musste. Ohne Waffen konnten sie die Auseinandersetzung mit Barrans Banditen vergessen! „In Ordnung. Wenn Sie soweit sind, wir werden da sein, Marshall“, nickte Callaghan ebenso ernst.

   Lorne verabschiedete sich und ging in die Dunkelheit davon. Im Widerschein des Mondes sah er Dorothea Bailey vorne im Tal bei den Pferden stehen. Sie blickte reglos in die Ferne, ohne sich nach ihm umzudrehen, obwohl sie seine Schritte oder zumindest das Klirren der Sporen gehört haben musste. „Erzählen Sie mir von Ihrem Mann, Mrs. Bailey“, bat er leise. Mit der Schulter lehnte er sich gegen einen knorrigen Stamm und steckte sich eine Zigarette zwischen die Lippen. Ein Streichholz glomm auf, das sekundenlang sein kantiges Gesicht beleuchtete. Mit der hohlen Hand schirmte er die kleine Flamme gegen den Wind ab und setzte die Zigarette in Brand. Damit gab er ihr Gelegenheit, sich zu überlegen, ob sie es tun wollte oder nicht.

   Langsam drehte sie sich nach ihm um, blickte in das von der rötlichen Glut schwach angeleuchtete Gesicht. „Warum wollen Sie ausgerechnet meine Geschichte hören, Marshall?“ Ihre Stimme klang rau, fast wehmütig. Er lächelte. „Weil Sie hier sind, Ma’am. Und ich mich dafür interessiere.“ Sie seufzte tief auf. „Es gibt nicht viel zu erzählen. Mein Mann und ich haben uns im Osten kennengelernt, Missouri, wissen Sie. Eines Tages begegneten wir uns auf der Straße und kamen ins Ge-spräch. Eine Woche darauf heirateten wir.“ Lorne hob den Kopf und blies den Rauch aus. Er fragte sich selbst, was ihn an ihr faszinierte, dass er ihr diese Frage stellte: „Haben Sie ihn geliebt?“ Sie zuckte die Achseln. „Ich weiß’s nicht. Ich glaube nicht. Meine Eltern hielten ihn für eine gute Partie und wollten, dass ich ihn heirate. Er war ein guter Mann, aber zu weich für dieses Land. Wir hatten ein kleines Geschäft in Alamosa, von dem wir leben konnten. Bis uns Barran den Laden streitig machte! Es gab keine Schranken mehr für ihn, nachdem der alte Sheriff aus dem Weg geräumt war.“ Sie unterbrach sich und wandte das Gesicht wieder der Sichel des Mondes zu, ehe sie fortfuhr: „Zwei Männer kandidierten als neue Sheriffs. Earl war einer von ihnen. Er wollte mir wohl beweisen, dass er Mut hat. Sie wurden beide dazu aufgefordert ihre Kandidatur zurückzuziehen.“ „Der andere Mann tat es?“, fragte Lorne leise. Dorothea nickte und seufzte wieder. Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: „Earl befolgte ihre Ratschläge nicht, im Gegenteil, er forderte die Leute zum Kampf auf. Er stand mitten auf der Straße, um ihn ein Haufen Leute, die ihm zuhörten. Und dann fiel der Schuss. Er kam aus irgendeinem der Häuser. Sie haben ihm mit einer einzigen Kugel das Hirn rausgeschossen!“ Sie schluchzte auf. Die Erinnerung an den furchtbaren Moment und die schrecklichen Bilder holten sie ein und ließen sie erzittern. Tränen liefen über ihr blasses Antlitz.

   Er spuckte die angerauchte Zigarette aus, machte zwei Schritte auf die junge Frau zu und nahm sie begütigend in den Arm. „Nicht weinen, Dorothy. Ich hätte nicht in Sie dringen dürfen. Es tut mir leid.“ Er drückte ihren Kopf an seine Brust. „Es tut mir wirklich leid“, wieder-holte er mit den Lippen in ihrem Haar. Dorothea schloss die Augen und genoss seine Anteilnahme. Nach einer Weile hob sie das Gesicht und sah ihn mit tränenverhangenem Blick an. Der Ausdruck auf ihren Zügen war schmerzlich, ihre sonore Stimme kratzte: „Schon gut. Es ist ja nicht, weil ich ihn wirklich liebte. Aber da starb ein Mensch in meinen Armen. Ich meine, der einzige, an dem mir etwas lag. Ich war eine Fremde unter Fremden und wusste nicht, was ich tun sollte!“ „Warum wollen Sie sich dann mit Barran anlegen?“, fragte er mit gerunzelter Stirn verständnislos. Sie zuckte kaum merklich mit den Schultern, ihr Blick war offen, die Tränen versiegt. Wegen dem Laden war es nicht, aber sie hatte nicht vor, es ihm zu verraten. Doch so etwas wie Entschlossenheit war in ihren Blick und vor allem in ihre Haltung zurückgekehrt, ihr Rücken versteifte sich in seinen Armen. „Earl war mein Mann! Ich erwarte nicht, dass Sie das verstehen, Marshall. Es ist ja auch nicht wichtig.“ „Mein Name ist Green. Nennen Sie mich Lorne, Dory.“ Seine Stimme klang ebenfalls heiser. Aus irgend einem Grund hatte er das zwanghafte Bedürfnis, ihr die Tränen fortzuküssen. Sein Gesicht näherte sich dem ihren. Obwohl sie ahnte, was kommen würde, entzog sie sich ihm nicht. Ihr Körper drückte eine gewisse Zurückhaltung und doch Erwartung aus. „Hab’ keine Angst, Dory, ich tue dir nichts“, murmelte er gepresst, bevor sich ihre Lippen berührten. Er roch den Duft ihrer Haut und sog ihn wie ein Ertrinkender in sich ein.

   Sie schlang die Arme um seinen Nacken, schloss die Augen und seufzte leise. Etwas zaghaft erwiderte sie seinen Kuss. Sie war kein leichtes Mädchen, aber genauso, wie sie sich ihrem Mann hingegeben hatte, weil ihre Familie es so wollte, genauso gab sie sich dem Marshall hin, der für sie vielleicht Sicherheit, Schutz und jetzt zumindest eine starke Schulter zum Anlehnen bedeutete. Als er von ihr abließ, um sie im Schein des Mondes zu betrachten, glitten ihre weichen Finger über seine stoppelige Wange, als sie wissen wollte: „Wofür war das? Warum hast du mich geküsst, Lorne?“ „Weil du mir gefällst. Und weil du geweint hast, Kleines.“ „Du magst es wohl nicht, wenn Frauen weinen, nicht wahr?“ Er grinste und griff in ihr volles, weiches Haar, das ihr offen auf die Schultern niederfiel, bog sanft ihren Kopf zurück und küsste ihre Kehle. „Es war nicht das Weinen, das mich gestört hat.“ Flüchtig presste er seine Lippen auf ihren Mund. Seine Stimme klang rau vor Verlangen, als er bat: „Komm mit mir zurück nach Alamosa.“ „Ja.“ Sie fragte weder nach dem Warum, noch zeigte sie Furcht. Ihre Antwort folgte so schnell, als wäre es das Einfachste der Welt. Er lächelte vor Erleichterung. „Hast du ein Pferd?“ Dorothea schüttelte den Kopf. „Die anderen können den Gaul besser brauchen als ich.“ Lorne ließ sie los und ging zu seinem Pferd. Er sattelte Amigo und wartete auf sie. „Bist du dir wirklich sicher, dass du mitkommen willst, Dory?“, vergewisserte er sich, während er ihr die Hand entgegenstreckte. Sie nickte: „Ganz sicher, Lorne.“ Sie trat zu ihm und ließ sich von ihm in den Sattel heben. Ihr Kleid behinderte sie etwas. Er schwang sich hinter sie und nahm die langen Zügel kürzer. „Du weißt, was ich von dir verlange, wenn du mich begleitest?“ Wieder nickte sie. „Ich habe keine Angst vor Barran!“, erklärte sie mit Nachdruck. Er nickte in ihrem Haar, küsste ihren Na-cken und gab dem Hengst die Sporen.

   „Wo ist Dorothy?“ Als er ihr Verschwinden bemerkte, weil sie nicht zurückgekehrt war, blickte Callaghan sich suchend nach ihr um. „Er hat sie mitgenommen!“, knurrte Ed Taylor mit mürrischem Gesicht, der Green wie ein Schatten gefolgt war und eben wieder aus den Bäumen heraustrat. „Dieser Schweinehund!“, fuhr Sam Neill hoch, der sich selbst gern an Baileys Seite gesehen hätte. Er warf Pacer einen düsteren Blick zu, während er mit dem Gewehr in der Faust auf die Füße sprang. Missbilligend schüttelte Callaghan den Kopf: „Das hätte er nicht tun sollen!“ Taylor hob bedauernd die Schultern: „Sie ging freiwillig mit ihm, Paul.“ „Trotzdem“, beharrte er. „Wenn ich den Kerl in die Finger kriege...!“ Neill war im Begriff, hinter den beiden herzueilen, als ihn Callaghans warnender Blick traf. Das verliebte Bürschchen war imstande, sich mit Gewalt mit Green anzulegen, und er wollte alles andere, als dass dem Marshall wegen dem Hitzkopf etwas zustieß und der ganze Plan deswegen ins Wasser fiel! „Dorothy ist alt genug, um auf sich selbst aufzupassen, Sam! Und um sich ihren Liebhaber selbst auszusuchen!“, hielt er ihn knurrend zurück und beendete damit das Thema. Der junge Mann schäumte vor Wut. Fluchend schmetterte er einen Stein hinter dem Marshall in die Dunkelheit hinein.

 

Der Ritt zurück nach Alamosa dauerte lange. Als die flackernden Lichter der Stadt endlich vor ihnen auf-tauchten, war Dorothea in Greens kräftigen Armen eingeschlafen. Er ritt zum Mietstall und stieß mit dem Stiefel das hohe Tor auf. In Amigos Box glitt er aus dem Sattel. Vorsichtig hob er die junge Frau herunter und trug sie in den Saloon. Keep Temple war noch auf. Er hatte die Stühle auf die Tische gestellt, um das Lokal zu schließen. Seiner breiten Brust entrang sich ein erleichterter Seufzer, als er ihn sah: „Mann, bin ich froh, Sie zu sehen! Wir haben uns schon Sorgen gemacht!“ Green blickte etwas zerknirscht, als er sich an das verpasste Treffen erinnerte. „Tut mir leid, ich wurde aufgehalten.“ „Das sehe ich, Marshall!“, konstatierte Keep zwischen Ärger und Neugier schwankend trocken, gleichzeitig reckte er den Hals, um zu sehen, wen Green da bei sich hatte: „Wen bringen Sie denn da?“ „Noch nie eine schlafende Frau gesehen, Keep?“, entgegnete er spöttisch. Dieser bedachte ihn mit einem gehässigen Blick. „Natürlich, aber ich dachte, Sie hätten sie vielleicht irgendwo entführt.“ „Quatsch!“ Lorne sah, wie er auf den Scherz vor Schreck erblasste, als er sie erkannte. Mit offenem Mund starrte er die beiden an und stammelte: „Um Gottes Willen, das ist ja Dorothy Bailey!“ Stirnrunzelnd sah sich Green genötigt, die Lage zu berichtigen: „Sie kam freiwillig mit!“, beeilte er sich ihm zu versichern, ehe er begreifend die Stimme und die Lautstärke senkte: „Hören Sie, Keep, ich weiß, dass sie hier nicht sicher ist! Also bitte kein Wort über sie, verstanden? Barran darf nicht wissen, dass sie da ist!“ Keep erholte sich schnell von der Überraschung und zeigte sein breites, walrossartiges Grinsen: „Ist doch klar, Marshall. Ich falle niemandem in den Rücken, der auf unserer Seite steht!“ Lorne fühlte sich einigermassen erleichtert, gleichzeitig begann die Last in seinen Armen langsam schwer zu werden. „Danke, Keep. Und gute Nacht“, sagte er, um sich zu verabschieden. „Wünsche ich Ihnen auch.“ Kopfschüttelnd blickte er dem Marshall mit einem schweren Seufzer hinterher, als er seine süße Begleiterin die Treppe ins Obergeschoss hinauftrug. Es war ihm unverständlich, wie Green sie hierher bringen konnte, und noch unverständlicher war, dass sie freiwillig mit ihm gekommen sein sollte.

   Im Zimmer legte er Dorothea aufs Bett, zog leise die Türe hinter sich zu und sperrte ab, bevor er in den Stall zurückkehrte, um Amigo abzusatteln und zu füttern. Erst nach geraumer Weile kehrte er zu ihr zurück. Sie war jetzt wach und stand, mit den Händen auf dem Rücken und von den Gardinen verborgen, abwartend neben dem Fenster, so dass sie hinausblicken, aber selbst nicht aus jedem Winkel gesehen werden konnte. Doch eigentlich war nicht zu erwarten, dass sich noch jemand zu nachtschlafender Zeit auf der Straße aufhielt. Ihre Füße waren nackt. Sie trug nur ihre spitzenbesetzte Unterwäsche. Fasziniert starrte er sie an. Sie sah sein Spiegelbild im Fenster. „Wo warst du?“, fragte sie verstimmt, ohne sich umzudrehen. „Ich habe Amigo abgesattelt.“ Er kam die zwei Schritte auf sie zu und drehte sie zu sich herum. Mit einer raschen Bewegung zerrte er die Vorhänge zu, bevor er sich an ihrem Mieder zu schaffen machte. Seine Finger knöpften ihr Oberhemd auf und streiften es über die schmalen Schultern. Die Wäsche glitt ihrem schlanken Körper entlang hinunter auf den Boden. Ohne Scheu stand sie nackt mit abwartendem Blick aber schweigend vor ihm. Es brauchte keine Worte zwischen ihnen. Was immer er von ihr erwartete, sie wollte es auch. Mit einem Ruck hob er sie auf die Arme und trug sie hinüber zum Bett. Rasch entledigte er sich seines Halfters, hängte es in Reichweite an den Bettpfosten, dann seiner Kleider, die er achtlos zu Boden warf, und schlüpfte zu ihr unter die Decke. Ihre weiche Haut berührte und erhitzte ihn. Vorsichtig schob er sich über sie, erkundete neugierig ihren Körper, liebkoste sie und nahm sie dann ganz in seinen Besitz.

 

Durch die halb zugezogenen Vorhänge fiel ein einzelner Sonnenstrahl und malte einen goldenen Kringel auf den Fußboden. Er war wach, aber er rührte sich nicht, um die junge Frau an seiner Seite nicht zu wecken. Er schob die Hand unter den Nacken und blickte zur weißgetünchten Decke hinauf. Dorotheas Arm und Wange lagen auf seiner sonnengebräunten Brust, die sich in regelmäßigen Abständen hob und senkte. Nach einer Weile spürte er das Zittern ihrer langen Wimpern auf seiner Haut. „Bist du wach, Dory?“, fragte er leise, und sie nickte. „Ja.“ „Gut geschlafen?“ „Ich kann nicht klagen. Ich habe schon schlimmere Nächte erlebt. Es ist angenehm, wieder in einem richtigen Bett zu schlafen. Du warst mir ein bequemes Kissen.“ „Das hoffe ich, Baby“, lächelte er durch die Nase, griff in ihr volles Haar und küsste ihre Stirn. Dorothea hob den Kopf und sah ihn an. Ihre grünen Augen blickten dunkel und traurig, jedoch glaubte er auch eine gewisse Wärme und Sehnsucht in ihnen zu sehen, aber er war sich nicht sicher. Das Licht war zu diffus und die Erkenntnis zu undeutlich. „Weißt du, ich habe Angst davor, dass diese Auseinandersetzung mit Barran schief gehen könnte“, gestand sie leise, und er spürte, dass sie es eigentlich ein wenig anders meinte. „Warum sagst du nicht einfach, dass du Angst um mich hast, Dory?“, wollte er lächelnd wissen, doch sie erwiderte es nicht. „Wie könnte ich das, Lorne? Du bist ein freier Mann und musst tun, was dir die Regierung und das Gesetz vorschreibt. Ich habe kein Recht, dich von deinem Weg abzubringen.“ „Das tust du nicht!“, sagte er bestimmt und schob die Decke zurück. Er vermutete, dass sie sich aus Angst, ihn zu verlieren, nicht binden wollte. Er setzte sich auf und begann sich anzukleiden. Als er sich den Revolvergürtel umschnallte, drehte er sich nach ihr um. „Zieh dich an, Baby. Ich gehe und hole dir dein Frühstück. Verlass das Zimmer besser nicht. Ich möchte nicht, dass Barran dich sieht.“ Dorothea nickte. Er wandte sich ab und ging hinaus.

   Gutgelaunt kam er mit klingenden Sporen die Treppe hinunter. „Morgen, Keep. Was für ein herrlicher Tag“, begrüßte er ihn in der Gaststube munter. „Tag, Marshall.“ Er nickte ihm freundlich, aber mit leichter Besorgnis zu, während er fortfuhr, die Stühle von den Tischen auf den Boden zu stellen. Lorne trat zu ihm und fragte: „Wie halten Sie das aus, Keep? Abends sind Sie der Letzte und morgens der Erste. Wann schlafen Sie eigentlich?“ Temple grinste schulterzuckend. „Reine Gewohnheitssache, Marshall. Mit fünf bis sechs Stunden pro Nacht komme ich aus. Was möchten Sie zum Frühstück?“ „Zweimal das Übliche. Ich habe einen Mordshunger, Sie verstehen schon. Und sehen Sie zu, dass es möglichst unauffällig ist.“ Keep warf ihm einen leicht gekränkten Blick zu, ehe er es mit einer wegwerfenden Geste abtat. „Klar doch. Glauben Sie, ich will Baileys Frau etwas Böses?“ „Sie kennen Sie also?“, erkundigte er sich. Er war gespannt auf Temples Version der Geschichte. Ob er ihm ebenfalls von Earl Baileys Kandida-tur für den Sheriffposten erzählen würde? Keep nickte. „Jeder kennt sie, Marshall. Eine tapfere Frau. Was sie durchgestanden hat, muss man schon als unmenschlich bezeichnen.“ Lorne runzelte irritiert die Stirn: „Inwiefern? Was ist passiert?“ Mit dem Finger zeigte er zu den Tischen hinüber. „Setzen Sie sich erst mal, Green. Ich bringe der Kleinen das Frühstück und stehe Ihnen dann zur Verfügung.“ Eilig verschwand er in der Küche.

Lorne ging zu seinem Tisch hinüber und setzte sich. Wenig später kehrte der Wirt mit einem Tablett zurück, stellte es vor ihn hin und wandte sich eilig wieder ab. „Kommt Barran eigentlich nie runter zum Frühstück?“, hielt ihn Greens Frage auf. Keep warf einen furchtsamen Kontrollblick zur Treppe hinüber, ehe er hastig den Kopf schüttelte: „Nein, nie. Er verlässt sein Zimmer äußerst selten. Aber vor PeeWee müssen Sie sich in Acht nehmen!“ Lorne nickte. „Ein gefährlicher Kerl.“ „Den sollten Sie nicht unterschätzen!“, warnte er besorgt. Mit einem kleinen Lächeln blickte Green amüsiert zu ihm hoch. Seine Tonlage klang beinahe arrogant, als er antwortete: „Keine Sorge, den Fehler mache ich nicht!“

   Keep eilte zurück in die Küche, um das Tablett für Dorothea zu holen. Sie hatte sich inzwischen angezogen und bürstete ihr langes, kastanienrotes Haar, als er klopfte. „Wer ist da?“, fragte sie mit verstellter Stimme, die tief und männlich klingen sollte. „Ich bin’s, Keep. Machen Sie auf, ich bringe Ihnen Ihr Frühstück!“ Sie erkannte ihn am Klang der Stimme und öffnete. Er walzte ins Zimmer und versetzte der Türe einen Tritt, damit sie sich wieder schloss. „Morgen, Dorothy.“ „Hallo, Keep. Schön, dich zu sehen.“ Er verzog die fleischigen Lippen zu einem breiten, wenngleich besorgten Grinsen. Sie folgte ihm hinüber zum Tisch, wo er das Tablett abstellte. „Danke.“ „Gern geschehen“, nickte er. Rasch wandte er sich ab, um wieder zu gehen, als sie ihn am Ärmel zurückhielt: „Kein Wort über mich zu Barran, ja? Ich möchte dasselbe nicht noch mal durchmachen!“ Sein Blick war durchdringend, seine Stimme scheltend: „Warum bist du zurückgekommen?“ Sie seufzte mit einem entschuldigenden Lächeln: „Du weißt, warum. Lorne ist nicht nur ein sehr interessanter Mann. Ich hoffe, er kann mir helfen, mich zu rächen!“ „Was weiß er über dich?“ Verneinend schüttelte sie den Kopf. „Nichts. Nur von dem Mord. Ich hatte weder den Mut, noch die Gelegenheit, es ihm zu sagen. Aber eigentlich braucht er es nicht zu wissen.“ „Klar“, murmelte er und ging.

   Green hatte sein Frühstück fast beendet, als er sich zu ihm gesellte. Wie üblich um diese Zeit war der Saloon leer. „Nun?“, fragte er und aß ruhig weiter. Keep fixierte ihn scharf, ehe er mit der Antwort herausrückte: „Sie war Barrans Geliebte!“ „Was?“ Abrupt hob Lorne den Kopf, die Gabel entfiel seiner Hand und landete mitsamt dem Spiegelei neben dem Teller. „Sie haben richtig gehört, Marshall“, bestätigte Keep auf den ungläubigen Blick. Seine Stimme kratzte wie Kreide über eine Schiefertafel: „Sie war tatsächlich...?“ Lorne brachte es nicht über sich, das Hässliche laut auszusprechen. Keep legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm. „Nicht freiwillig! Er hat sie mit dem Wissen ihres Mannes missbraucht und vor aller Augen geschlagen. Und als er genug von ihr hatte, überließ er sie seinen Männern! Es waren schreckliche Erlebnisse für sie. Deshalb hasst sie den Kerl auch so.“ „Dieses Schwein!“, zischte Green mit verbissener Miene und vor Zorn schwarzen Augen, in denen es mörderisch blitzte. Er mochte Barran nicht leiden, doch jetzt hasste er ihn für das, was er Dorothea angetan hatte. Er erinnerte sich an ihre dunklen Worte: Ich habe schon schlimmere Nächte erlebt. Plötzlich erhielt diese Aussage eine völlig neue Bedeutung. Sie hatte nicht das Schlafen auf dem Boden gemeint! Vielleicht hatte sie auch auf den Beischlaf mit ihm angespielt? Dass sie es gar nicht so wie er genossen hatte? Und ich Esel habe nichts gemerkt! Er dachte daran, wie sie ihm auf die Frage ausgewichen war, als er den Grund für ihren unbändigen Hass und den Wunsch nach Rache erfahren wollte. Nun fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Das war es gewesen, was sie bewegt hatte, sich auf seine Seite zu schlagen und das Bett mit ihm zu teilen: sie wollte dabei sein, wenn der Kampf begann, und dabei zusehen, wenn Barran ihn - hoffentlich - verlor!

   Keep nickte und erhob sich. Er ließ den Marshall in Gedanken versunken allein und kehrte hinter seine Theke zurück. Dieser beendete hastig sein Frühstück und warf die Serviette neben dem Teller auf den Tisch. Mit raschen Schritten eilte er aus dem Saloon, obwohl er das Bedürfnis verspürte, zu Dorothea hinaufzugehen und sie zu trösten. Er tat es nicht, weil er nach dem Frühstück nie in sein Zimmer zurückkehrte und dies vielleicht aufgefallen wäre. Aber er nahm sich vor, Barran für all das büßen zu lassen, was er ihr und den Menschen dieser Stadt angetan hatte!

 

Dieser wanderte einmal mehr nervös vor dem Fenster auf und ab und fragte sich, ob es nicht doch besser wäre, den Marshall vorzeitig zu beseitigen, wie es ihm Pee Wee immer wieder einredete. War er tatsächlich in der Lage, eine Revolution gegen ihn anzuzetteln? Er hatte gesehen, welch guter Kämpfer er war! PeeWee ist ein guter Revolverschütze!, versuchte er sich zu beruhigen. Aber war die Rothaut wirklich in der Lage, Green zu erledigen? Während er darüber nachsann, durchzuckte ihn ein sadistischer Gedanke: Warum damit warten, statt es sofort herauszufinden? Wenn er die beiden gegeneinander antreten ließ, würde er sofort wissen, welcher der Bessere war! Ungeduldig läutete er nach dem Halbblut.

   Bis PeeWee endlich eintrat, dauerte es eine geraume Weile. Barran war wütend vor Ungeduld und Nervosität und reagierte hypersensibel, weil er auf seinen Befehl nicht sofort angetrabt kam, wie er es erwartete. Entsprechend zornig fuhr er ihn an: „Hörst du nicht, dass ich dich rufe?“ Missgelaunt warf ihm PeeWee einen finsteren Blick zu und knallte die Tür mit einem Fußtritt hinter sich zu. Barran fuhr hoch wie eine Hornisse, seine Stimme klang schrill und aufgebracht: „Verd! Willst du es mit mir verscherzen?“ Doch auch diesmal reagierte er nicht. Anstelle einer Antwort stemmte er die Sohle gegen die Wand, lehnte sich mit der Schulter an und drehte sich gelassen eine Zigarette, den Blick der dunklen Augen zu Boden gerichtet, damit Barran das böse Fun-keln darin nicht sah. Verbittert biss er die Zähne zusam-men. Deine großartigen Töne werden dir noch vergehen! Bald bist du fällig, Barran! Wenn Green dich fertiggemacht hat, werde ich auf dein Grab spucken!

   Entnervt kämpfte der Saloonbesitzer seinen Frust hinunter, als er einsah, dass er die Rothaut damit nicht beeindruckte. Er versuchte sich zu beruhigen und gleichzeitig den großzügigen Boss herauszuhängen, indem er ihm mit einem selbstgefälligen Lächeln gnädig erlaubte: „Ich möchte... das heißt, du darfst dich jetzt mit dem Marshall anlegen“, sagte er, ehe seine Miene wieder gefror: „Öffentlich! Ich will wissen, wer von euch beiden der Schnellere ist!“ Seine Worte klirrten wie Eis, der Tonfall seiner hohen Stimme duldete keinen Widerspruch. PeeWees Lippen begannen zu beben. Unter seiner dunklen Hautfarbe wurde er blaß. Jähe Hitze befiel ihn, die seinen Körper erstarren ließ. „Du bist verrückt, Barran!“, stieß er hervor, doch dieser lächelte noch immer kalt und unbeugsam. Das Halbblut spuckte die angerauchte Zigarette auf den Fußboden und zertrat sie unter der Sohle. Er fühlte ein unangenehmes Kribbeln in seinen Händen, als würden sie flattern. „Verd! Das kann ich nicht, Barran!“ Seine Stimme klang brüchig und heiser. Er wusste selbst, dass er ein guter Revolverschütze war, aber wenn Green so mit seinen Colts umging, wie er mit bloßen Fäusten kämpfte, dann gab es für ihn kaum eine Chance, ein Duell zu überleben! Es war das erste Mal, dass er sich seiner Sache nicht mehr sicher war. Noch nie zuvor hatte er einen Gegner so gefürchtet wie Green. „Angst, PeeWee?“, fragte Barran mit einem provozierenden Lächeln spöttisch. Dessen Augen glühten vor Wut, als er seinen Boss fixierte, seine Stimme klang wie dunkles Donnergrollen: „Du hättest mich den Kerl gleich am ersten Tag erschießen lassen sollen! Da glaubte ich noch, ich würde ihn erledigen können! Der Marshall ist gefährlicher als du denkst! Ich verwette meinen Skalp, dass er schneller zieht als ich!“ Barran tat es kopfschüttelnd mit einer lakonischen Handbewegung ab: „Unsinn, amigo. Dich hat noch keiner geschafft! -Aber um das herauszufinden, will ich ja, dass du dich mit ihm ausschießt! - Das ist ein Befehl, PeeWee, verstanden? Wenn du dich weigerst, wird dein Leben keinen müden Cent mehr wert sein!“ Der Mestize verstand die Drohung nur zu gut. Barran würde nicht zögern, ihn von seinen Männern umlegen zu lassen, wenn er sich widersetzte. Sterben würde er also so oder so, denn an Wunder glaubte PeeWee nicht, es sei denn, er würde augenblicklich die Stadt verlassen. Aber dann würden sie ihm vielleicht in den Rücken schießen! Oder er könnte zum Feind überlaufen. Dann würden die Bürger Alamosas an ihm Rache üben! „Verfluchter Hund!“, stieß er aus und spuckte Barran vor die Füße. „Das wirst du bereuen! Green wird dich fertigmachen!“ Doch Vigil maß seinen Worten keine Bedeutung bei. Er fühlte sich völlig sicher auf seinem hohen Ross.

   Wütend stürmte der Mestize aus der Wohnung. So schnell konnte sich das Blatt wenden. Er hatte sich widersetzt und musste nun dafür büßen. Barran blickte ihm mit einem höhnischen Grinsen hinterher. Er war sich bewusst gewesen, dass PeeWee dieser Befehl nicht schmecken würde, und es amüsierte ihn, wie verschreckt er war. Aber das störte ihn nicht; für ihn waren seine Männer nur Mittel zum Zweck, Abschaum, Bauern, die je nach Situation oder Laune geopfert werden konnten. Und nun warf er ihn, obwohl er seiner nicht wirklich überdrüssig war, wie ein lästiges Getier dem Löwen zum Fraß vor. Er fühlte sich so stark und unantastbar, dass er seine gefährlichste Waffe aus der Hand gab.

   Genüsslich zündete er sich eine Zigarre an und verließ das Zimmer ebenfalls. Mit schweren Schritten walzte er über den Korridor zu Temples Wohnung und klopfte. Maggie öffnete ihm erstaunt die Tür. „Morgen, Virgil.“ Sie deutete auf einen Sessel, aber er schüttelte den Kopf. „Keine Zeit, Mae, ich muss gleich wieder gehen. Kannst du was für mich erledigen?“, fragte er leicht außer Atem. Die junge Frau nickte. Sie war Barran gern gefällig, weil jeweils auch etwas für sie dabei heraussprang. Ohne Keeps Wissen profitierte sie von Virgil, weil sie seine Geliebte war. „Was soll ich tun?“, fragte sie und sah den dicken, schwarz gekleideten Mann neugierig an. Dieser sog beharrlich an seiner Zigarre und blies den Rauch aus. „PeeWee fordert Green zum Duell. Ich möchte, dass du ihm das mitteilst!“ Seine Worte trafen Maggie wie ein Schlag ins Gesicht. Zum ersten Mal wurde sie sich bewusst, wie niederträchtig Virgil Barran war. „Das ist nicht dein Ernst, oder?“, keuchte sie erschrocken. Obwohl sie versuchte, sich zusammenzureißen, bemerkte er doch, wie betroffen sie war. Er nickte fröhlich: „Doch, mein voller Ernst, Darling. Sieh mich nicht so böse an! Einer ist hier zuviel, und das ist Green! PeeWee wird ihn für mich erledigen!“ Mae blieb einen Augenblick lang der Mund offen stehen. „Und wenn der Marshall schneller ist?“, fragte sie dann, doch er zuckte lediglich gleichgültig mit den Schultern. „Dann gibt es andere Möglichkeiten, um ihn loszuwerden! Jetzt geh rüber ins Office und sag ihm, dass PeeWee auf ihn wartet!“ Er nahm die Zigarre aus dem Mund und ließ Maggie erschüttert stehen. Warum verlangte er das ausgerechnet von ihr? Hatte er gemerkt, dass ihr Green nicht gleichgültig war oder wollte er der Bevölkerung einfach nur zeigen, dass sie sich keine Hoffnungen zu machen brauchte? Langsam, fast schleppend, ging sie die Treppe hinunter und auf die Straße hinaus. Stirnrunzelnd blickte ihr Keep Temple beunruhigt hinterher.

   Der Wind trieb kleine Staubteufelchen vor sich her und ließ sie tanzen. Übermütig spielte er mit Maes blondem Haar, streichelte ihre erhitzten Wangen. Durch die offene Tür sah Green sie schon von Weitem kommen, trotzdem gab er vor, sie nicht bemerkt und nur Schritte gehört zu haben. Wachsam wie immer, lag die Hand an seinem Colt, während er sich angelegentlich mit seinen Notizen beschäftigte. Zögernd betrat Maggie das Office und blieb vor dem schweren Schreibtisch stehen. Sie fühlte sich unwohl, wusste nicht, wie sie es ihm sagen sollte. Green hob den Kopf und blickte erstaunt auf. Ein kleines Grinsen stahl sich auf sein Gesicht. Er ließ den Kolben los und legte die Hände auf den Tisch. „Hey, Mae. Nett, dass du vorbeischaust.“ Mit ernster Miene schüttelte sie den Kopf. „Der Grund meines Kommens ist weniger nett“, entgegnete sie mit gesenktem Blick leise. Fragend zog er eine Augenbraue in die Höhe: „Was ist passiert, Mae?“ Betrübt blickte sie ihn an. Sie brachte die Nachricht kaum über die Lippen: „Virgil lässt dir durch mich ausrichten, dass PeeWee dich zum Duell fordert.“ „Ah ja.“ Er nickte verstehend. „Anders ausgedrückt: Barran will mich also loswerden. Habe ich recht?“ „Ja. Ich glaube, er fürchtet sich vor dir. Aber nicht wahr, du wirst diese Herausforderung nicht annehmen?“, bettelte sie ängstlich. „Warum nicht?“ Er konnte sich ein amüsiertes Grinsen nicht verkneifen, ehe er schlagartig wieder ernst wurde: „Ich bin kein Hasenfuß! Ich werde tun, was mein Stolz und mein Beruf von mir verlangen! - Aber warum bringst du mir diese Nachricht? Was hast du mit Barran zu schaffen?“

   Plötzlich war ihr die Antwort peinlich. Mae lächelte gequält, was ihn verwirrte. „Der Grund wird dir nicht gefallen, Darling.“ Sie stockte aus Verlegenheit, um nach den richtigen Worten zu suchen, ehe sie patzig herausposaunte: „Ich bin nämlich auch Virgils Geliebte.“ In seinem Gesicht malten sich Ekel und Betroffenheit. „Das ist nicht dein Ernst, oder?“ Er schluckte, als Maggie nickte. „Doch. Glaub’ nicht, dass ich ihn liebe, das tue ich nicht! Aber sein Geld war es, das mich angezogen hat - bevor ich dich kennenlernte“, warf sie schnell beteuernd ein: „Ich hasse dieses verschissene Kaff! - Aber ich konnte ja nirgends hin! Und Virgils Besitz ist groß. Ich dachte, wenn ich eines Tages seine Frau werde, würde das alles auch mir gehören.“ In Greens Augen loderte blanke Wut. Auf seiner Stirn stand eine steile Falte des Unmuts: „Du willst dich also am Raub und der Enteignung der Bevölkerung beteiligen?“, schleuderte er ihr brüsk entgegen. Maggie senkte betroffen den Blick und entschuldigte sich: „Soweit habe ich gar nicht gedacht. So wie du es aussprichst, klingt es sehr hässlich. Es tut mir leid, ich habe nur an mich gedacht und daran, was ich mir alles leisten könnte.“ In ihrer Zerknirschtheit versuchte sie sich zu rechtfertigen: „Jeder denkt doch zuerst an sich, Lorne! Mit Geld besitzt du Macht. Das war es, was ich wollte. Geld bedeutet mir alles! Damit kann ich gehen, wohin ich will. Ich weiß, du kannst das nicht verstehen. Du bist nicht in diesem gottverlassenen Kaff aufgewachsen! - Vater versteht es auch nicht!“ Je länger sie redete, desto wütender wurde er. Mit dicht zusammengezogenen Augenbrauen und Runzeln auf der Stirn fragte er mit tiefem Groll: „Und warum in aller Welt hast du dann mit mir geschlafen?“ Maggie lächelte, als sie antwortete: „Weil du der einzige Mann bist, der mir hier wirklich etwas bedeutet. Wenn du Geld hättest, würde ich dich auf der Stelle heiraten, aber das können wir später immer noch tun. Wenn Virgil erst mal mein Mann ist, würde ich nicht zögern... - Somit bekämen alle, was sie wollen, oder nicht?“ Angewidert von soviel Gier und Schlechtigkeit schüttelte Green den Kopf. „Nein!“, stieß er heftig hervor: „Dann müsste ich dich wegen Mordes ins Gefängnis bringen, Mae!“ Maggie blickte ihn entgeistert über seine unerwartete Heftigkeit mit offenem Mund betroffen an.

   Abrupt wechselte er das Thema: „Wann, sagtest du, erwartet mich PeeWee?“ „Gleich jetzt, glaube ich.“ Ihre Stimme klang belegt, die Augen weiteten sich vor Furcht. Diesen Punkt hatte sie über allem anderen beinahe vergessen. „Willst du es wirklich tun, Lorne?“ Aus dem Blick, mit dem er sie bedachte, leuchtete zynischer Hohn gemischt mit blasierter Eitelkeit, als er nickte. Offenkundig machte er sich lustig über ihre vorgespielte Angst, die er nicht als echt erachtete. Gleichzeitig kratzte es an seiner Ehre, dass sie glaubte, er würde im Duell unterliegen. „Natürlich! Ich werde Barran das Fürchten lehren!“ Maggie schluckte leer. „Spotte nicht! Es geht schließlich um dein Leben!“ „Eben.“ Er grinste frech und stand auf. Ungerührt stülpte er sich den Stetson aufs Haar, rückte die beiden langläufigen Colts zurecht und ging zur Tür. Maggie folgte ihm. Deutlich stand ihr die Angst ins Gesicht geschrieben. Eindringlich bettelte sie: „Lorne, bitte, geh nicht! Ich habe Angst um dich! Wenn du dich mit PeeWee schießt, ist dein Leben keinen Pfifferling mehr wert!“ Ihre Stimme klang schrill und die Angst in ihr tatsächlich aufrichtig. „Wir werden sehen, Babe“, nickte er gelassen. „Du bleibst besser hier. Ich schätze, die Luft wird gleich ziemlich bleihaltig, und das nicht nur zwischen dem Halbblut und mir!“ Damit schob er sich an ihr vorbei und trat auf den Gehsteig hinaus.

   Mit sorgenumwölkter Stirn folgte sie ihm nach draußen, während er gelassenen Schrittes über die Holzplanken schlenderte. Furchtsam umschlang sie mit den Armen den hölzernen Stützpfeiler und drückte die Stirn mit geschlossenen Augen dagegen, als könnte sie damit ein Umdenken bewirken und ihn zur Umkehr bewegen. Als seine Schritte und das Klirren der Sporen gleich da-rauf verstummten, öffnete sie überrascht die Augen. Abwartend stand er an der Gehsteigkante und blickte zum Saloon hinüber. Ihr Herz klopfte heftig. Sie hoffte, er würde es sich überlegen und bleiben.

   Einen kurzen Moment lang dachte Lorne daran, dass da oben in einem der Saloonzimmer jene Frau auf ihn wartete, die er wirklich begehrte, und verfluchte, dass er sich nicht mal verabschieden konnte, ohne sie zu verraten. Wenn da unten auf der Straße die Hölle losbrach und die Schüsse fielen, würde sie nicht mal wissen, dass er in die Schießerei verwickelt war! Seufzend versuchte er die Gedanken an Dorothea zu verdrängen. Was ging ihn diese Frau an? Sie war nur eine von vielen, mit denen er schon geschlafen hatte, oder nicht? Mit energischen Schritten setzte er seinen Weg fort, verscheuchte ihr Bild aus dem Gedächtnis. Er brauchte einen klaren Kopf, um sich auf den Schusswechsel zu konzentrieren. Die Sporen an seinen hochhakigen Stiefeln klirrten wie-der. Die Sonne blendete ihn, als er gegenüber vom Saloon den Gehsteig verließ. Er schob sich den Stetson tiefer in die Stirn, ehe er die staubige Straße überquerte.

   Als er den Saloon betrat, stieß sich PeeWee von der Theke ab und kam ihm mit versteinerter Miene entgegen. Das Schnapsglas, mit dem er sich hatte betäuben wollen, war noch randvoll. „Bringen wir’s hinter uns, Green!“, murmelte er, als er an ihm vorbei ging. Keep, der wie üblich hinter seinem Tresen stand, horchte erschrocken auf. „Was meint er damit, Lorne?“, fragte er stirnrunzelnd, als dieser zu ihm trat. Beunruhigt musterte er das harte, sonnengebräunte Männergesicht mit den dunklen, tiefliegenden Augen, in dem er keine Gemütsregung erkennen konnte. Green lächelte kurz, als er dieselbe Furcht wie bei Mae auch in seinem Gesicht las, dann kam die Antwort so trocken, als würde er übers Wetter sprechen: „Dass wir uns ausschießen werden, amigo.“ Keep sackte vor Entsetzen der Unterkiefer herab. Lorne nickte ihm aufmunternd zu. „Sehen Sie zu, dass mir keiner in den Rücken fällt! Ich würde gern bei einem ehrlichen Schusswechsel sterben“, grinste er mit Galgenhumor und folgte dem Halbblut bereitwillig hinaus.

   Temple reagierte sofort. Trotz seines Gewichts überwand er die Stufen ins Obergeschoss im Laufschritt und polterte bei Greens Zimmer an die Tür, bis Bailey ihm öffnete. Er keuchte und war rot im Gesicht: „Sieh aus dem Fenster, Dorothy, schnell! Gleich passiert ein Unglück! Der Marshall will sich mit PeeWee schießen!“, prustete er atemlos. „Was?“ Das Wort kam wie ein Schrei, ihr Gesicht verlor sämtliche Farbe. Vor ihm stürzte sie zum Fenster. Schwankend hielt sie sich an der Brüstung fest und blickte hinunter auf die Main Street. „Um Gottes Willen, da steht er ja wie auf dem Präsentierteller!“ Keep eilte schnaufend hinterher.

   Unten standen sich die beiden Männer bereits gegenüber, Green abwartend auf dem Gehsteig, das Halbblut auf der Straße. In aller Ruhe steckte sich Green eine letzte Zigarette an und begann, an den Stützpfeiler gelehnt, in aller Seelenruhe zu rauchen.

   „Lornes Winchester, schnell!“, rief sie dem stämmigen Wirt zu, der ihr ohne zu zögern das Gewehr hinüberreichte, das nahe der Tür angelehnt stand. „Bleib hinter dem Vorhang, man könnte dich sehen!“, warnte er. Dorothea nickte, doch es war ihr egal. Was sie vorhatte, war ihm klar, ehe sie es erklärte: „Barran hat seine Banditen sicher in den umliegenden Häusern postiert, um Green zu erledigen, falls er gewinnt! Hol’ deine Henry, schnell! Beeil dich, es wird gleich losgehen!“ Das Drängen in ihrer kratzenden Stimme beengte ihn. Sie fürchtete nicht nur um Green, sondern auch um die Befreiung der Stadt, genauso wie er. „Ich postiere mich unten!“ Im Laufschritt verließ er das Zimmer und stürmte die Treppe hinunter, während sie das Fenster öffnete, um freies Schussfeld zu haben.

   Als er sich mit der Henry Rifle in der Hand hinter den Türflügeln des Saloons verschanzte, warf Green die angerauchte Zigarettenkippe zu Boden und zertrat sie unter der Sohle. „Na? Endlich den Mut gefunden?“, verhöhnte ihn PeeWee, um seine eigene Unsicherheit zu übertünchen und ihn zu unüberlegtem Handeln zu verleiten. Lorne lächelte schmal, als er zu ihm auf die Straße hinaustrat. Der Wind fegte über den rissigen Boden und wirbelte den hellen Staub in die Höhe. Er zupfte an der Kleidung und den Haaren der Männer. „Ich wollte dir nur etwas Zeit einräumen, um dich zu verabschieden“, spottete er zurück. PeeWees Gesicht lief blutrot an. Er konnte sehen, wie sich seine Miene verdüsterte und sich die Augenbrauen zusammenzogen. „Warte, wir knobeln“, sagte er, während er mit der Linken andeutete, dass er die Waffe noch nicht ziehen würde. Ohne PeeWee den kleinsten Moment aus den Augen zu lassen, griff er in die Hosentasche und zog einen Silberdollar heraus, der im Sonnenlicht aufblitzte. „Wer die Zahl erwischt, muss gegen die Sonne stehen“, erklärte er in lässigem Plauderton und grinste. Seine Miene täuschte über die Nervosität hinweg, doch er wusste aus Erfahrung, dass sie wie weggewischt sein würde, wenn es Ernst galt. „Was willst du?“ „Kopf, natürlich, was denn sonst?“ PeeWees Stimme klang so heiser, dass Dorothea sie von ihrem Standort aus kaum hören konnte. Sie sah, wie sie knobelten, damit das Schicksal entschied und keiner sich übervorteilt fühlte. Sie verwünschte Green, dass er die Sache dem Zufall überlassen wollte, anstatt sich unmissverständlich auf die richtige Seite zu stellen. Dieser nickte und warf die Münze in die Höhe, fing sie aus der Luft wieder auf und barg sie auf dem Handrücken.

   Dass etwas Ungutes vor sich ging, war inzwischen auch Passanten und anderen Bewohnern klargeworden. Normalerweise war eine Schießerei immer etwas Aufregendes, nur diesmal nicht, weil sie auch mit dem eigenen Schicksal verbunden war! Wenn der Marshall erschossen wurde, verlor Alamosa das Gesetz, und Barran konnte seine Furchtherrschaft weiter auf die Spitze treiben! Immer mehr Leute blieben stehen und scharten sich nervös auf den Gehsteigen um die beiden Duellanten.

   Grinsend blickte Green in das maskenhaft starre Gesicht seines Gegners, um dessen Unruhe noch zu verstärken, ehe er bedächtig die obere Hand wegzog. Doch das Glück war ihm nicht hold. Da lag der Silberdollar, mit dem Kopf nach oben. Shit!, ging es ihm nur kurz durch den Sinn. Ohne seine Ruhe zu verlieren, sagte er ungerührt: „Gut für dich.“ Dieser Standort musste nicht zwangsläufig schlecht sein. Vielleicht hatte er ja doch Glück. „Keine Panik, okay? Ich stecke nur den Dollar wieder ein!“ „Können wir jetzt endlich anfangen?“, keifte PeeWee ungeduldig. „Klar.“ Lorne nickte. „Aber es kann ja sein, dass ich ihn noch brauche.“ Wieder grinste er überheblich selbstsicher zu ihm hinüber, während er den Dollar in die Tasche zurückschob. Aber als er die Hand aus der Hose zog, hielt er einen anderen Gegenstand darin, ohne dass PeeWee es bemerkte. „Also, fangen wir an!“, kommandierte er. Die beiden drehten sich um.

   Es war ein kleiner Spiegel, den er so in der Hand hielt, dass er den Mestizen im Auge behalten konnte, obwohl sie sich den Rücken zuwandten. Lorne hatte sich auf eine verfrühte Attacke eingestellt. Mit großen Schritten massen sie ihre zehn Schritte ab, so dass sie letzten Endes gegen zwanzig Meter auseinander stehen würden. PeeWee trat trotz der Hitze kalter Angstschweiß auf die Stirn. Wohl hatte er den günstigeren Standort erwischt, doch er ahnte instinktiv, dass dies sein letzter Gang sein würde. Dieser Befehl war sein Todesurteil! Sein Herz klopfte wild und schmerzhaft gegen die Rippen, sein Körper war sekundenlang verkrampft und wie gelähmt. Seine Hände, die wenige Zentimeter über den Kolben schwebten, zitterten. Es gab nur eine einzige Chance für ihn, wenn er gewinnen wollte...! Verdammt, Green, du kriegst mich nicht!, dachte er mit verkniffener Miene. Mitten im Schritt stockte er und hielt inne.

   Dorothea hielt entsetzt den Atem an und riss die Winchester in Anschlag.

   Green sah in seinem Spiegel, wie PeeWees Hände zum Halfter zuckten. Das Halbblut hatte Angst vor einer ehrlichen Auseinandersetzung und versuchte dem Unvermeidlichen eine andere Wende zu geben. Obwohl er sich noch nicht umgedreht und die Waffen noch nicht erreicht hatte, handelte Lorne sofort ohne Zögern. In Sekundenbruchteilen fuhren seine Hände zu den Halftern. Seine Finger bekamen die Kolben zu fassen und rissen die Colts heraus, mit den Daumen spannte er beide Hähne gleichzeitig, warf sich herum und zog die Abzüge durch, praktisch im selben Moment, als auch PeeWee soweit war und mit gezogenen Waffen herumfuhr. Aus den Läufen schossen grelle Stichflammen, dann kräuselten sich dünne Rauchfäden über den heißen Mündungen.